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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Z. Lewin
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woran ich arbeitete. Sie
     konnte nicht viel hinzufügen, außer daß sie am 14.
     September 1954 eingezogen war und der Vormieter vieles zurückgelassen
     hatte. Viel nicht, falls es die gesamte Ausstattung des Hauses gewesen
     sein sollte, aber viel dafür, daß er es einfach zurückgelassen
     hatte. Betten, und zwar jeweils eins in zweien der Zimmer, ein paar Möbel,
     Essen, Töpfe und Pfannen, Geschirr, Besteck, Laken und Bettzeug.
    Es klang stark nach der Liste
     der Dinge, die Leander nach dem Ankauf des Hauses hergebracht hatte.
    »Was haben Sie damit
     angefangen?« fragte ich sie. »Ich habe den ganzen Kram
     weggegeben. Der Heilsarmee. Bevor er ging, hat Mr. Crystal mir noch
     gesagt, daß ich mit dem Zeug machen könne, was ich wolle, daß
     es mir gehöre. Und weggeben war genau das, was ich damit machen
     wollte.«
    »Und das Ausländeramt
     hat sich nur nach dem Mädchen erkundigt?«
    »Ja.«
    »Ich habe mit Ihrem
     Nachbarn auf der anderen Seite der Gasse gesprochen.«
    »Der alte Mann. Sitzt
     den ganzen Tag vorne am Fenster und sieht zu, daß ihm nur ja nichts
     entgeht, was in dieser Straße passiert.«
    »Seine Frau ist vor
     kurzem gestorben.«
    »Ich weiß. Ich
     kannte sie nicht, aber wahrscheinlich war es die Anstrengung, all seine
     Ferngläser zu säubern und seine Bleistifte anzuspitzen.«
    Ich verabschiedete mich.
    Als ich die Treppe hinunter
     zu meinem Wagen ging, machte ich dem alten Mann das versprochene Zeichen
     mit dem Daumen.
    An der Tür blieb ich
     stehen und ging dann zurück, um noch ein paar Worte mit ihm zu
     wechseln.
    »Sie mag mich also
     wirklich, hm?« Sein Gesichtsausdruck kam einem lüsternen
     Grinsen so nahe, wie es ohne Zähne möglich war.
    »Das habe ich nicht
     gesagt. Ich habe sie bloß gefragt, ob sie jemals darüber
     nachgedacht hätte, noch mal zu heiraten, und sie sagte, das hätte
     sie.«
    »Junge, Junge«,
     sagte er.
    »Ich wollte Sie noch
     was anderes fragen. Sie führen nicht zufällig Buch über die
     Vorgänge hier in der Straße, oder? Wie zum Beispiel über
     Autos, die hier entlangfahren, und so weiter?«
    »Na und ob! Warten Sie
     'n Augenblick, mein Junge.« Ich wartete, halb ungläubig, halb
     hoffnungsvoll. Es würde ziemlich langwierig sein, Listen von vor fünfzehn
     Jahren registrierten Autos durchzugehen, aber ich konnte die Arbeit jemand
     anderem aufhalsen. Geld ist ein wunderbares Schmiermittel.
    Er kam mit einem alten
     Hauptbuch und zeigte mir die erste Seite.
    »Angefangen habe ich
     1935. Mir war klargeworden, daß es Krieg geben würde. Ich
     dachte, irgend jemand könnte sich vielleicht für das Kommen und
     Gehen hier in der Gegend interessieren. Könnte doch nützlich
     sein. Sie wissen schon, wenn in jeder Straße einer war, der die
     Dinge im Auge behielt, dann ließ sich so vielleicht der eine oder
     andere Spion dingfest machen.«
    »Könnte ich
     vielleicht etwas spätere Eintragungen sehen?«
    »Sagen Sie ›Halt!‹,
     mein Junge.«
    Er blätterte langsam
     weiter. Als er ungefähr drei Viertel des Buches hinter sich hatte,
     kam eine leere Seite. »Das war s.«   
    »Mehr haben Sie nicht?«
     Die letzte Seite trug die Überschrift: »21. Dezember bis 31.
     Dezember 1949«
    »Was wollen Sie, junger
     Mann? Da war der Krieg schon lange vorbei. Und meine Augen sind auch nicht
     mehr, was sie mal waren. Hilft Ihnen das irgendwie weiter?«
    »Ich fürchte,
     nein. Aber trotzdem vielen Dank. Ich bin Ihnen wirklich dankbar.«
    »Ach, das geht schon in
     Ordnung. Hätte nie gedacht, daß es irgend jemandem viel nützen
     würde. Da hätte es schon ein ganzes Netzwerk von Leuten wie mir
     geben müssen.«
    »Da haben Sie wohl
     recht. Aber machen Sie sich nichts draus.«
    »Sagen Sie mal, junger
     Mann, jetzt, wo die Zeiten lockerer werden, meinen Sie nicht, daß da
     vielleicht sechs Monate Trauerzeit reichen würden?«
    »Besser ist immer noch
     ein Jahr. Wer was auf sich hält, respektiert die Traditionen.«
    »Das denke ich auch.
     Denke ich auch.« Ich wandte mich zum Gehen, und er blieb zurück
     und kratzte sich das Kinn.

33
    Es war halb zwölf. Ich aß
     zu Mittag und verbrachte den Löwenanteil der verbleibenden Bürostunden
     damit, Vorladungen zuzustellen. Das machte ich sehr geschickt, sehr
     effizient. Ich hatte einen Vier-Tage-Job in weniger als zwei Tagen fast
     zur Hälfte bewältigt. Ich bedauerte es wirklich, daß ich
     den Job übernommen hatte, aber was soll man machen?
    Um halb fünf war ich im
     Ostteil

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