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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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wie Mark Friederike Franzen verschnürt hatte, erkannte Pia abgrundtiefen Hass und den Wunsch nach Vergeltung.
    Mark hatte den schweren Küchentisch aufrecht hingestellt und die Frau mit ausgebreiteten Armen vor die Tischplatte gefesselt, so dass es aussah, als sei sie gekreuzigt worden. Ihre Augen waren verbunden, eine Wäscheleine führte von ihrem Hals straff hinter den Tisch, und um ihren Hals spannte sich ein Halsband mit einem kleinen Kästchen.
    Â»Muss das sein?«, fragte Pia leise.
    Â»Sie ist ganz schön kräftig«, entgegnete Mark. »Ich hab sie k. o. schlagen müssen, um sie fesseln zu können.«
    Er vermied es, sie anzusehen.
    Â»Da drüben liegt die Kamera. Sie filmen.«
    Â»Was soll ich filmen?«
    Â»Das werden Sie schon sehen.« Er setzte sich auf einen Stuhl, öffnete eine zweite Dose Red Bull und kippte sie ebenso schnell weg wie die erste. »Sind Sie so weit?«
    Rede mit ihm, dachte Pia. Vielleicht konnte sie irgendwie zu ihm durchdringen.
    Â»Wieso tust du das, Mark?«, fragte sie also. »Was willst du damit bezwecken?«
    Â»Ich hab gesagt: Kein Psychogequatsche«, fuhr er ihr über den Mund.
    Pia ergriff die digitale Kamera und schaltete sie ein. Es widerstrebte ihr zutiefst, tatenlos Marks Anweisungen zu gehorchen, aber es blieb ihr vorerst nichts anderes übrig, wenn sie das Leben der Geiseln nicht gefährden wollte. Das rote Licht blinkte, sie richtete den ausklappbaren Monitor, bis sie die Frau im Bild hatte.
    Â»Die Kamera läuft«, sagte Pia. Statt zu antworten drückte Mark auf eine Fernbedienung. Erst jetzt erkannte Pia entsetzt, um was für eine Art Halsband es sich handelte. Friederike Franzen zuckte zusammen und stieß einen furchtbaren, röchelnden Schrei aus, als der Stromstoß unerwartet durch ihren Hals jagte. Sie schluchzte, wagte aber nicht, ihren Kopf zu bewegen, wohl aus Angst, von der Wäscheleine erwürgt zu werden.
    Â»Teletakt«, bemerkte Mark. »Benutzt Ricky gerne in der Hundeschule. Ich find’s grausam, aber sie hat immer gesagt, es täte den Hunden nicht weh.«
    Â»Hör auf damit«, sagte Pia scharf.
    Â»Nein«, entgegnete Mark, und endlich blickte er sie an. Seine Unterlippe zitterte leicht. »Ich will nur die Wahrheit wissen. Und so lügt sie mich wenigstens nicht mehr an.«
    *
    Die Straße war bereits fünfhundert Meter vor dem Haus, in dem sich Mark mit seinen Geiseln verschanzt hatte, gesperrt. Schaulustige, Anwohner und Pressevertreter drängten sich hinter der Absperrung, die von grimmig dreinblickenden Polizeibeamten gesichert wurde. Dahinter parkten die Einsatzfahrzeuge: Notärzte, Feuerwehr, Mannschaftswagen des Sondereinsatzkommandos, Streifenwagen. Bodenstein hatte keine Zeit mehr gehabt, Annika vorher zu Clasing nach Frankfurt zu bringen. Es war ihm nicht wohl bei der Vorstellung, sie allein zu lassen, aber sie würde im Auto auf ihn warten müssen. Das Risiko, dass sie von jemandem erkannt wurde, war einfach zu groß.
    Er zückte seinen Dienstausweis, als jemand seinen Namen rief.
    Â»Hallo, Christoph«, sagte er zu Pias Freund, dem die Sorge ins Gesicht geschrieben stand.
    Â»Was ist da los?«, wollte Dr. Christoph Sander wissen. Er war sichtlich aufgebracht. »Wieso dauert das so lange? Wo ist Pia?«
    Â»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Bodenstein. »Ich bin eben erst eingetroffen. Alles, was ich weiß, ist, dass es sich wohl um eine Geiselnahme handelt.«
    Â»So schlau bin ich auch«, entgegnete Sander ruppig. »Pia hat mir vorhin am Telefon versichert, es sei für sie nicht gefährlich. Aber ich kann sie nirgendwo sehen.«
    Bodenstein dämmerte, dass Sander nichts von Pias Einsatz ahnte. Wahrscheinlich hatte sie es ihm verschwiegen, weil sie wusste, wie empfindlich er reagierte, wenn sie in gefährliche Situationen geriet – und es gab wohl kaum eine gefährlichere Situation, als sich in die Gewalt eines bewaffneten Geiselnehmers zu begeben.
    Â»Ich erkundige mich«, sagte er unbehaglich. »Warte hier.«
    Â»Ich will nicht warten. Ich will wissen, was mit Pia ist«, beharrte Sander.
    Â»Aber ich kann nicht …«, begann Bodenstein, doch Sander fiel ihm ungeduldig ins Wort.
    Â»Natürlich kannst du. Also?«
    Bodenstein seufzte und bedeutete den Beamten an der Absperrung, Sander durchzulassen, obwohl er wusste, wie impulsiv Christoph Sander sein konnte.

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