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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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hat in jeder Beziehung reinen Tisch gemacht. Er hat sich von den Militärs zurückgezogen. Er hat den Kontakt zu Oster und Beck abgebrochen. Er ist so weit, sich in die Dinge zu schicken: Der Nationalsozialismus wird eben von allein zugrunde gehen oder gar nicht.
    »Und ich bin ohnehin nicht geschaffen für die Welt dieser Militärs. Ich verstehe sie gar nicht. Dieses ganze Gerede von Befehl und Gehorsam. Ich bin Beamter, ich sollte diesem Staat loyal dienen. Wenn ich es nicht kann, dann ist das meine eigene Entscheidung, die ich schweren Gewissens trage. Aber sie übertragen die Befehlsgewalt immer dem Nächsthöheren, den sie für die Sache gewinnen können, und hinfort fühlen sie sich weisungsgebunden. Sie sind mir im Grunde ganz fremd, diese Leute.«
    Dietrich Bonhoeffer und Eberhard Bethge sind in das Göttinger Haus der Leibholzens eingezogen. Jeden Morgen beginnen sie mit einer gemeinsamen Andacht, genau wie im Predigerseminar in Finkenwalde. Dann schreibt Dietrich an seinem Buch mit dem Titel ›Gemeinsames Leben‹.
    Er schreibt über seine Erfahrungen im Predigerseminar. Es ist eine beglückende und schmerzliche Arbeit. Noch einmal sitzt er mit den Brüdern am Tisch, noch einmal durchstreift er mit ihnen die Dünen der Ostsee. Noch einmal durchwandert er im Geist die Räume des Gutshauses, das er verlassen musste.Und er selbst sitzt in dem Haus, das seine Schwester mit ihren Gedanken durchschweift.
    Es steht noch immer voller Möbel, voller Bücher. Dietrich hofft, Sabine noch das eine oder andere zukommen lassen zu können. Er schreibt auf der hübschen kleinen Veranda, die an ihr Wohnzimmer grenzt. Er ist voller Dankbarkeit, während er schreibt. Finkenwalde war ein großes Geschenk. Niemand hat schließlich einen Anspruch auf Gemeinschaft. Die Christenheit ist ausgestreut unter alle Völker der Erde. Christus selbst lebte mitten unter seinen Feinden. Am Ende verließen ihn sogar seine Jünger, und am Kreuz war er ganz allein, umgeben von Übeltätern und Spöttern. Also gehört auch der Christ nicht in die friedliche Abgeschiedenheit oder unter die Brüder, sondern mitten unter seine Feinde.
    Dort ist Dietrich jetzt. Er spricht nicht mehr offen. Er ist vorsichtig. Er grüßt mit Hitlergruß. Nachmittags spielt er mit Eberhard Bethge Tennis. Abends musizieren sie. Sie sprechen über Dietrichs Buch, über die Grundlagen ihres Lebens in Finkenwalde. Immer wieder mussten die Neuankömmlinge zuerst einmal von diesem Leben enttäuscht werden.
    Immer wieder mussten sie begreifen: Wer seinen Traum von einer Gemeinschaft mehr liebt als die wirkliche Gemeinschaft, der wird jede Gemeinschaft zerstören. Wer träumt, fordert von anderen die Erfüllung seiner Träume. Aus diesem Anspruch befreit nur die Wirklichkeit. Sie sorgt für Demut. Immer wieder mussten die Brüder daran erinnert werden: Es ging in Finkenwalde weder um ekstatische Erweckungserlebnisse noch um Erfahrungen tiefer persönlicher Verbundenheit. Gott ist kein Gott der Gemütserregung, sondern der Wahrheit. Und eine Bruderschaft ist keine Familie. Sie beruht auch nicht auf erotischer Anziehung oder auf Kameradschaft: Sie ist eine geistliche Gemeinschaft, in der die einzelnen Brüder überhauptnicht direkt miteinander verbunden sind, sondern nur mit Gott, und miteinander nur über Gott.
    »Verstehst du?«, sagt Dietrich Bonhoeffer zu Eberhard Bethge. »Der Grund seelischer Gemeinschaft ist das Begehren. Das Wesen des Begehrens ist Finsternis: die Sehnsucht nach Verschmelzung, nach Auflösung. Ob ich mit einem anderen in der Liebe verschmelze oder ob ich ihn mir unterwerfe, ihn vergewaltige, ist so gesehen ein und dasselbe. Aber die wahre Liebe weiß, dass sie keinen unmittelbaren Zugang zum Menschen hat, sondern nur über Christus andere erreicht. Die wahre Liebe begehrt nicht, sie dient. Sie will nicht bekommen, sie will geben. Sie kommt von Christus, und ihm dient sie allein.«
    Unter Kameraden ist alles gut, was der Gemeinschaft nützt. Es gibt keine eigene Verantwortung, keine eigene Schuld: Die Gemeinschaft ist die höchste Instanz, vor der der Einzelne Verantwortung trägt. Aber in einer geistlichen Gemeinschaft ist jeder seinem Gewissen persönlich verantwortlich, denn jeder ist Gott persönlich verantwortlich.
    Gott hat Dietrich das erkennen lassen: Auch in der Gemeinschaft ist jeder ein Einzelner, er bleibt immer ein Einzelner. Dietrich schreibt,
    Und bald mag es sein, dass uns die tiefste Einsamkeit umgibt.
    »Verstehst du, Eberhard?«, sagt

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