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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Es geht am Ende darum, ob ein Ding echt ist, ob es Echtheitskennzeichen hat, ob es ins Innerste des Künstlers hineingenommen und von dort reproduziert worden ist, statt eine platte Abbildung zu sein, es ist doch eine Lüge, so zu tun, als bilde man die Wirklichkeit ab. Es ist alles zurückgenommen in den Menschen, aus dem es wieder hervorbricht. Nur vom einzelnen Künstler erhält das Werk seine Wirkungsform.«
    »Wirkungsform? Hat hier jemand von Wirkungsform gesprochen? Was heißt denn das? Was heißt denn Wirkung, heute für uns? Ästhetische Wirkung? Hübsche oder selbst schockierende Wirkung? Was soll uns denn eine Diskussion über Ästhetik?«
    »Na sieh dir doch ihre Fackelzüge an! Sieh dir ihre Inszenierungen an, und dann sage mir, dass dieser Staat nicht zu drei Vierteln aus ästhetischer Wirkung besteht.«
    So geht es immer. So schwadronieren sie. So kommen sie vom Hundertsten ins Tausendste. Jemand öffnet eine Flasche Rheinwein. Jemand verteilt Gläser, die Elisabeth füllen hilft. Sie reicht die vollen Gläser in die Runde, wie eine Nektar spendende Muttergöttin.
    »Hör mal«, sagt Günther und legt einen Arm um Oda. »Ich habe einen enorm guten Witz für dich. Also, pass auf. Das Auto des Führers fährt den Hund eines Fleischers tot.Adolf schickt den Chauffeur in den Fleischerladen, um sich zu entschuldigen und Schadensersatz anzubieten. Der Chauffeur sagt: Heil Hitler. Der Hund ist tot. Der Fleischer fällt ihm um den Hals und jubelt. Endlich! Endlich! Seien Sie mein Freund! Seien Sie mein Bruder! Hier, nehmen Sie! Nehmen Sie! Nehmen Sie die größten Würste mit! «
    Oda lacht. Günther lacht. Irgendwo weiter hinten im großen Wohnraum imitiert jemand Hitler, wahrscheinlich Kurt.
    »Rose de Rescht? Das ist doch ein ganz undeutscher Name. Ich hege den Verdacht, es handelt sich hier um eine volksfremde Rose. Eine volksfrremde Rrrose, in einem volksdeutschen Garrten! Das kann und das wärrde ich nicht länger dulden! Ich wärrr-de dieses Gewächs herrraus-reißen! Mit der Wurr-zel heraus-reißen, aus dem Boh-den des Va-terlands.«
    Da ist es, das Gehämmer. Da ist der Anrufungs-Singsang voll falscher Betonungen, die keinen Sinn ergeben, sondern allein dazu dienen, einzelne Worte wie Reißnägel in die Seelen der Zuhörer hineinzudrücken.
    »Diese un deut-schen Rrrroooo -sen rrrücksichts- lo s vernich -ten, sie un -er- bitt -lich aus- mer -zen aus der Volks -ge- mein -schaft.«
    Oda hört das Stimmengewirr, den schockierten Aufschrei einer Frau. Günther schwenkt sein Glas.
    »Die Nazis?«, ruft er jemandem zu. »Aber wir wollen ihnen doch gar nichts Schlimmes! Wir wollen sie nur auf eine einsame Insel sperren. Und dort stellen wir Lautsprecher auf, und dann müssen sie vierundzwanzig Stunden am Tag ihren eigenen Reden zuhören.«
    Es klingelt.
    »Walter! Es ist Walter Husemann.«
    »Endlich.«
    Oda streckt sich. Sie spürt die Muskeln unter ihren Kleidern.Sie spürt ihren Körper, straff und biegsam, spürt das Leben in ihrem Körper, jemand reicht ihr ein Glas Wein. Oda wird hierbleiben. Sie braucht ihren Platz, hier, im Haus der Schulze-Boysens. Wohin soll man gehen, wenn nicht hierher? Oda muss ihr Leben haben. Sie kann unmöglich alles der siegreich mütterlichen Elisabeth überlassen.
    Viel später am Abend liegen Marta und Walter Husemann zusammen in Martas Mädchenbett. Marta hält ihren Walter fest umschlungen: ihren sanften Jungen, den sie im Lager gequält haben.
    »Marta«, sagt Walter. »Liebste. Wir dürfen nicht mehr so oft zu den Schulze-Boysens gehen. Diese Leute sind keine Kommunisten. Es sind Bourgeois, die nichts von Konspiration verstehen. Sie sind charmant, aber sie sind lebensgefährlich unvorsichtig. Sie sind naiv. Sie verstehen überhaupt nicht, in welcher Gefahr sie sind.«
    Im Bayerischen Viertel liegt alles voll Scherben. Das ganze Tauentzien ist übersät mit Seidenstrümpfen und zerschmetterten Möbeln, Pariser Schuhen und Luxusroben. Aus den Fenstern der luxuriösen Textil- und Modehäuser rund um den Hausvogteiplatz fliegen die Stoffballen, die sich an den Fassaden festlich flatternd entrollen, leuchtende Fahnen einer Welt des Luxus und des Frohsinns.
    »Die Rosenbaums sollen sie abgeholt haben«, sagt erschüttert der Angestellte Karl Matzke zu seinem Bruder Klaus. »Die Schaukästen vor ihrem Laden sind alle zerschmissen. Es ist entsetzlich. Was für eine entsetzliche Zerstörung. Was für eine Belastung des Volksvermögens, die meisten Häuser, in denen sie

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