Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
die Trauerrede. Dass sie das tun würde, war selbstverständlich. Schließlich war sie eine Hollowell. Die letzte Hollowell. Mit zusammengebundenen Haaren und trockenen Augen stand sie im ärmellosen schwarzen Futteralkleid auf dem Podium.
Unter ihr war der Sarg ihres Vaters aus schlichtem Pinienholz aufgebahrt, in den das JH-Logo eingebrannt war, wie es einem alten Cowboy gebührte. Und wie alle alten Cowboys war er mit seinen Stiefeln beerdigt worden. Seinem Wunsch entsprechend hatte Sadie darauf bestanden, dass der Sarg geschlossen blieb, dessen Deckel ein Arrangement aus Sonnenblumen, Astern, Rudbeckien und Bergnelken schmückte, die wild auf der Ranch wuchsen.
Der Altarraum quoll über vor aufwändigen Blumengaben, die in krassem Gegensatz zum schlichten Sarg standen. Kreuze, Kränze und Gebinde umgaben große Fotos von Clive und seinen Pferden. Über all dieser Pracht stand Sadie, die mit klarer Stimme von ihrem Vater sprach. Die Parton-Schwestern in der ersten Bankreihe weinten laut, und spätestens da wusste sie, dass es Leute in der Gemeinde gab, die sie verurteilen würden. Sie würden ihre klare Stimme hören und ihre trockenen Augen sehen und sich zuflüstern, dass sie ein gefühlloser und gleichgültiger Mensch war. Eine undankbare Tochter, die den Sarg geschlossen hatte, damit niemand sich verabschieden konnte, wie es sich gehörte.
Sie sprach über die Liebe ihres Vaters zum Land und zu den Menschen, die für ihn gearbeitet hatten. Sie sprach über seine Liebe zu seinen Paint Horses. Erwachsene Männer und Frauen weinten ungeniert, doch sie vergoss keine Träne.
Ihr Daddy wäre stolz auf sie.
Nach der Trauerfeier wurde auf dem Holy-Cross-Friedhof die Beerdigungszeremonie abgehalten und Clive mit Generationen von Hollowells neben seiner Frau zur letzten Ruhe gebettet. Anschließend stand die Ranch den Trauergästen offen. Mit Hilfe anderer Mitglieder der First Baptist Church bereiteten die Parton-Schwestern unzählige Sandwiches vor, die sie mit einem Salat aus Gurken und Hühnerbrust füllten. Auf dem Rasen waren unter Zelten Banketttische aufgestellt, und alle Frauen aus Lovett steuerten etwas zum Leichenschmaus bei. Die Tische bogen sich unter Massen von Speisen, die nach über Generationen weitergegebenen Rezepten zubereitet worden waren. Brathähnchen, alle erdenklichen Auflaufgerichte, Salate, gefüllte Eier in fünf verschiedenen Variationen, Gemüse und diverse Brotsorten und ein ganzer Tisch allein mit Desserts. Das alles wurde mit stark gesüßtem Eistee und Limonade heruntergespült.
Alle waren sich einig, dass der Gottesdienst schön gewesen war, eine angemessene Hommage an jemanden von Clives Rang und Namen. Dass eine Beerdigung ein paar Skandale brauchte, um ein Erfolg zu sein, verstand sich von selbst. Der erste bestand natürlich aus Sadie Jos emotionaler Distanz, während wahrhaft Trauernde sich weinend um den Hals fielen. Sie war zweifelsohne viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Erbe zu zählen, um aufrichtig zu trauern. Der zweite bestand darin, dass B. J. Henderson im Brustton der Überzeugung verkündete, Tamara Perdues selbst gemachtes Pickle Relish sei um Klassen besser als das seiner Frau Margie. Da alle wussten, dass Tamara sich nicht zu schade war, anderen Frauen den Mann auszuspannen, brachte B. J.s Erklärung Margie ins Schleudern, sodass Tamaras Relish nach einer versehentlichen Dosis Tabascosoße zu den Verlierern des Tages gehörte.
»Wo ist denn dein junger Verehrer?«, schrie Tante Nelma Sadie quer durchs Wohnzimmer zu, wo sie am Kamin stand, an ihrem Eistee nippte und einfach nur versuchte, den Tag durchzustehen.
Erstens war Vince nicht ihr junger Verehrer, sondern nur ihr Freund mit gewissen Vorzügen. Auch wenn er ihr in den letzten fünf Tagen sogar ein vorbildlicher Freund gewesen war, wollte er trotzdem nur das eine von ihr. Sollte sie das je vergessen und auch nur eine Sekunde zulassen, dass sie sich nach seiner Verlässlichkeit als Konstante in ihrem Leben sehnte, wäre sie in Riesenschwierigkeiten. Und zweitens wusste Sadie ganz genau, dass Nelma »ihre Ohren« drin hatte und deshalb keinerlei Grund bestand, so zu schreien. »Vince ist im Gas and Go. Heute ist er am Streichen, glaube ich.«
»Dein Verehrer ist geschickt«, verkündete sie so laut, dass man es auch noch im Nachbarbezirk hören konnte. »Es ist immer schön, einen Verehrer zu haben, der einem Sachen reparieren kann. Hat er einen guten separaten Zahntarif?«
Sadie hatte absolut keine
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