Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
Das stimmte. Clive hatte alle Menschen mit Respekt behandelt und diese Eigenschaft auch ihr vermittelt. »Wir haben ein ganzes Buffet, falls Sie Hunger haben.«
»Bleibst du denn jetzt hier?«
»Ich weiß noch nicht, was ich mache.« Und selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre Luraleen Jinks der letzte Mensch gewesen, dem sie das auf die Nase gebunden hätte. »Ich hab ja noch ein bisschen Zeit, es mir zu überlegen.«
»Aber überleg nicht zu lange. Mädchen können nicht so lange warten wie Jungs«, unkte sie mit ihrer kurzatmigen Reibeisenstimme. »Du bist zurück zu deinen Wurzeln gekommen, aber dein Daddy ist nun tot.« Sie hielt ihren knöchrigen Finger hoch. »Du musst dir deiner Stellung hier bewusst werden.«
Sadie lächelte unverbindlich und gab die Schüssel an Carolynn weiter, die gerade vorbeikam. »Nochmals vielen Dank, dass Sie gekommen sind und Daddy die letzte Ehre erwiesen haben.« Sie wandte sich ab und raunte der Köchin zu: »Ich geh in mein Zimmer und leg mich hin.«
»Natürlich, Süße. Clara Anne und ich sorgen dafür, dass hier unten alles seinen Gang geht. Leg dich ruhig hin.«
Ohne einen Blick zurück stieg sie die hintere Treppe hinauf und lief durch den Flur, der von den Fotos ihrer Vorfahren gesäumt war. Sie schlüpfte in ihr Zimmer und streifte erleichtert ihre Schuhe ab. Sie brauchte einen Moment Ruhe und setzte sich aufs Bett. Nur ein kleines bisschen Ruhe, aber die Stimmen drangen durchs Fenster und durchs Treppenhaus bis zu ihr hinauf. Gelächter und gedämpftes, ehrerbietiges Gemurmel. Trotz ihrer Erschöpfung legte sie sich nicht hin. Sie wusste, dass der Versuch, Schlaf zu finden, nur in Frustration enden würde.
Sie stand wieder auf und lief durch den Flur zur geschlossenen Schlafzimmertür ihres Vaters. Die Hand auf dem angelaufenen Messingknopf hielt sie kurz inne, atmete tief durch und öffnete die Tür. Seit dem Tod ihres Vaters war sie nur einmal hier drin gewesen. An dem Tag, als sie seinen einzigen Anzug, sein Hemd und die Schnürsenkelkrawatte hatte holen müssen. Ihr Daddy war ein Mann gewesen, der wenig Worte machte und noch weniger persönliche Sachen besaß. Am Fußende des schmiedeeisernen Bettes lag ein alter Quilt mit Ringmuster, und auf der alten Holzkommode standen drei eingerahmte Fotos: ihre Mutter als Miss Texas, das Hochzeitsporträt ihrer Eltern und Sadies Schulabschlussfoto. Über dem Steinkamin hing ein Gemälde von Captain Church Hill, eins seiner Lieblingspferde und zugleich einer seiner erfolgreichsten Tovero-Hengste. Captain Church Hill war seit zehn Jahren tot.
Tränen rannen aus ihren Augenwinkeln, und sie biss sich auf ihre zitternde Lippe, als sie sich daran erinnerte, wie ihr Daddy mit ihr über die Geschichte und die Stammbäume seiner Paint Horses sprach. Von seiner Kindheit auf der Ranch hatte er ihr nie erzählt. Sie hatte immer geglaubt, das läge daran, weil er griesgrämig und wortkarg war, und das stimmte ja auch. Doch jetzt wusste sie, dass er von einem unberechenbaren Vater großgezogen worden und sein Traum, »Kapitän der Landstraße« zu werden, unerfüllt geblieben war.
Ein Rums von unten ließ Sadie zusammenzucken. Mit hämmerndem Herzen trat sie einen Schritt zurück aus dem Zimmer und wischte sich die Tränen von den Wangen.
Sie kam sich vor wie ein Fass, das kurz vorm Überlaufen war. Sie konnte nicht hier im Flur rumstehen und die Sachen ihres Vaters anstarren, aber zurück nach unten gehen konnte sie auch nicht. Allein der Gedanke, noch mehr Tee zu trinken und höflich lächeln zu müssen, brachte das Fass beinahe zum Überlaufen.
Sie lief zurück in ihr Zimmer und zog sich ihre alten Stiefel an. Sie setzte ihren Stetson auf und schnappte sich vom Nachttisch ihre kleine schwarze Clutch. Ihre Stiefelabsätze schlugen dumpf auf dem Parkettboden im Flur und auf der Treppe auf. Auf dem Weg zur Haustür begegnete sie mehreren Leuten, blieb jedoch nicht stehen, um sie zu begrüßen, sondern lief einfach weiter. Vorbei an der Schlange parkender Autos, die staubige Straße hinab. Der Hut schützte ihre Augen vor der Spätnachmittagssonne, und sie lief immer weiter. Unruhe und Schmerz machten ihr das Herz schwer. Was sollte sie nur tun, nun wo ihr Daddy tot war? Was sollte sie mit der Ranch anfangen? Sie brauchte ja nicht dort zu leben. Sie hatte mehrere Optionen. Bei der Verwaltung der Ranch mitmischen, dem jetzigen Ranchverwalter und den Vorarbeitern die Führung ganz überlassen oder irgendwas dazwischen. Am
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