Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
überhaupt benachrichtigt? Ich jedenfalls nicht. Ich hatte ja nicht die Adresse dieses Schwulenhassers, und außerdem tat ich mir selbst zu leid, als dass ich sie nachgeschlagen hätte. Marc hat ja kein Testament hinterlassen, sondern nur sein Tagebuch. Er hat uns verboten, ihn zu bestatten … Er wurde ja nicht mal beerdigt (und jetzt wissen wir auch, warum). Aber nun ist Marc … wieder da. Sollen wir das nun seinem Vater, dem Oberst Schwulenhasser, sagen? Oder lieber nicht?«
»Vielleicht sollten wir erst mal Marc fragen«, meinte Sinclair nachdenklich. »Interessant, dass wir ihn überhaupt fragen können, doch das ändert wohl nichts an der Tatsache …«
»Dass wir’s vermasselt haben.«
»Wir waren leichtsinnig«, berichtigte er. »Aber nicht ohne Grund.«
»Wohl mit Grund! Wir hatten massenhaft Gründe, vorsichtig zu sein! Doch das ist wieder mal eine dieser Kleinigkeiten, durch die wir in den Arsch gekniffen sind. Wenn ich die Weltherrschaft übernehmen würde, was ich nicht will … Aber wenn ich es täte – und ich tu’s nicht –, dann würde ich eine ganze Mannschaft anheuern, die nur damit beschäftigt wäre, sich um diese arschkneifenden Kleinigkeiten zu kümmern, die ich immer wieder vergesse.«
»Eine ganze Mannschaft, Liebste?«
»Eine Schwadron.«
»Die dir den Arsch freihält?«
»Ein Bataillon.«
Er lachte. Das war ansteckend. Es ging uns ein wenig besser.
Vorerst.
19
»Du dumme, dumme, dumme Tusse.« Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass der Antichrist ungehalten war. »Nach allem, was wir in der Zukunft und in der Vergangenheit erlebt haben? Oh, Betsy! Wie konntest du nur so dumm sein!«
»Hey, hey! Zweimal ›dumm‹ reicht vollkommen, um meine mannigfaltigen geistigen Defizite zu beschreiben. Und ich habe das da« – ich zeigte auf Marc – »nicht erschaffen. Ich hatte eher vermutet, dass er auf dein Konto geht. Sieh hin! Schau auf das, was du vielleicht getan hast oder auch nicht, du böser, böser Antichrist!«
»Ich hab übrigens auch einen Namen«, teilte uns der Zombie Marc mit.
»Siehst du! Er spricht, und er hat einen Namen. Der Tote spricht und hat einen Namen … und irgendjemand muss sich für diese Widerwärtigkeit verantworten.«
Der Zombie wirkte verärgert. »Ja, und ich hab dich auch lieb, Betsy.«
Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ja, okay, tut mir leid, aber du weißt doch, wie ich’s meine, Marc: Du bist doch vor allem deswegen aus der Versenkung aufgetaucht, weil du auf exakt diese Fragen Antworten finden wolltest. Das ist also nicht der günstigste Zeitpunkt, um empfindlich zu sein. Und jetzt sei still und lass die Erwachsenen reden!«
»Das ist schlimm.« Laura setzte sich so rasch, dass es aussah, als hätte man sie auf den Stuhl geschubst. Die Arme! Ich konnte wärmstens nachfühlen, wie ihr zumute war. »Das ist …«
»Schlimm?«, erkundigte sich Marc höflich.
»Wissen die anderen schon …?«, flüsterte Laura und warf ängstliche Blicke in Richtung Halle. Wir befanden uns in dem ersten Salon, der vom Korridor abging. »Wissen sie Bescheid?«
»Aber ja. Du brauchst also nicht zu flüstern.«
»Oh.« Sie dachte einen Augenblick nach, dann malte sich Bestürzung auf ihr Gesicht. »Oh.«
»Ja. Jessica hat genug gesehen, um mir einen Küchenstuhl auf den Schädel zu schmettern, und Nick/Dick passt seitdem auf, dass sie nicht noch mehr Schaden anrichtet. Ich würde nicht behaupten, dass ich es nicht verdient hätte, aber es war trotzdem ziemlich gemein. Antonia weiß genug, um völlig desinteressiert zu sein, und Garrett hat ungefähr eine halbe Sekunde lang Interesse gezeigt und widmet sich jetzt wieder seinen Strickkünsten oder was auch immer.«
»Oh mein Gott!« Sinclair zuckte kaum merklich zusammen. (Irrte ich mich, oder kam er allmählich besser mit dem G-Wort zurecht?) Laura brachte ein Lächeln zustande. »Tut mir leid, Eric. Doch das ist …«
»Lass mich raten! Schlimm?«, forschte Marc.
»Tut mir leid.« Der Antichrist pflegte sich übertrieben oft zu entschuldigen. Und nie erhielt man hübschere Dankeschön-Karten als von Laura, die für ihre Ergüsse sogar richtiges Briefpapier benutzte. »Marc, bitte versteh mich nicht falsch … Ich freue mich für dich … ich …« Sie streckte die Arme aus, und Marc schritt langsam durch das Zimmer auf sie zu, beugte sich herab und umarmte sie steif. Laura erhob sich nicht, sondern streckte lediglich halbherzig ihre Arme hoch, sodass die Umarmung wie ein verlegenes
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