Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
Großzügigkeit?«, antwortete sie.
»Ist das jetzt Kannibalismus oder eher so etwas wie Selbstbefriedigung?« War ich jemals so entsetzt und zugleich fasziniert gewesen? Igitt! Irgendwas stimmte nicht mit mir. »Und jetzt, da es mir besser geht, ist die Zeit ein verdammtes Rad? Das ist so ätzend!«
»Ätzend. Stört es dich eigentlich nicht, dass du, eine Frau in den Dreißigern …«
»Ich bin dreißig! Ich bin eine Frau von dreißig. Ich bin immer noch erst dreißig. Und zwar für immer und ewig.« Überhaupt nicht deprimierend.
»… das Vokabular und die Syntax eines Teenagers benutzt?«
»Nö. Überhaupt nicht. Und überhaupt stelle ich jetzt mal die Fragen. Du weißt vermutlich die Antworten. Also fang an!«
»Sei nicht so lästig!« Mein älteres Ich gähnte.
»Die Zeit ist ein Rad? Echt?«
»Am Ende hat Marc sich daran erinnert. Ich habe so lange darauf gewartet.« Sie besaß die Dreistigkeit, Missbilligung durchklingen zu lassen. Als hätte Marc sie enttäuscht, weil es ihm so spät eingefallen war.
»Er hat sich nicht erst am Ende daran erinnert, sondern die ganze Zeit über. Er hat bloß einiges durchgemacht, weil er nämlich gestorben ist, du herzlose Hexe!«
»Wir alle müssen früher oder später sterben.« Mein zickiges Ich zuckte mit den Schultern. »Und zu sterben bedeutet nicht das Ende der Welt. Es ist nicht einmal besonders interessant.«
»Du weißt doch, was das bedeutet? Dieser Quatsch mit dem Rad und dieser Blödsinn von wegen ›Du hast das Buch geschrieben‹? Dass wir unter anderem gar nicht Vampirkönigin sind.«
»Was?« Jetzt hatte ich sie drangekriegt … sie klang richtig erschrocken. Sogar beunruhigt.
»Du Dumpfbacke! Es sind keine Prophezeiungen. Das Buch der Toten prophezeit dir nicht die Zukunft, sondern ist Erinnerung. Deine Erinnerung. Wenn man etwas aufschreibt, das einem widerfahren ist, dann nennt man das nicht Prophezeiung, geht das vielleicht mal in deinen Schädel? Es ist so etwas Ähnliches wie ein Blog, so lahm das auch klingen mag. Ich habe über die Dinge geschrieben, die dir passiert sind.« Nein, meine Schlussfolgerung hatte ihr ganz und gar nicht gefallen. Ha, was für ein Triumph! Selbst, wenn ich falsch liegen sollte, war es die Mühe wert gewesen, und wenn auch nur, um dieses kalte Miststück ein bisschen aufzumischen. »Wir haben beide unser Bestes gegeben. Und ich will dir noch eine Wahrheit verraten, du Kind: Wenn ich wieder in meine Zeit zurückkehre, dann weiß ich nicht, was mich erwartet.«
»Ach ja?«
»Ach ja.«
»Warum hast du mir geholfen?«, fragte ich sehr misstrauisch.
»Wann?«
»Als ich mit deinem Blut in meinem Mund aufgewacht bin. Falls ich das nicht bereits klargemacht haben sollte.«
»Weil ich unser Gespräch zu Ende führen wollte.«
»Warum?«
Mein älteres Ich zuckte mit den Schultern. »Weil ich neugierig war.«
»Warum?«
»Wird es die Mühe wert sein, was glaubst du?«
Ich sagte nichts darauf, sondern schaute sie nur stumm an. Ich schuldete ihr verdammt noch mal gar nichts. Vielmehr hoffte ich irgendwie, dass sie nach ihrem Verschwinden aus der Hölle aufhören würde zu existieren. Ich hoffte auch, dass ich sie nie mehr sehen musste. War das zu viel verlangt? Mich selbst niemals wiederzusehen? Wieder einmal hatte ich den Zeitstrom verändert … ihren. Wohin würde sie zurückkehren? Und warum kümmerte es mich überhaupt?
Als mir schließlich klar wurde, dass sie so alt und schrullig war, dass sie selbst die Wiederauferstehung eines toten Frosches abgewartet hätte, gab ich ihr die Antwort, die sie offenbar hören wollte.
»Ja, du mein bald verstorbenes Ich. Es wird die Mühe wert sein, um Sinclair und mich …«
»Uns.«
»… und Marc und die Zukunft zu retten. Ich habe das Glück und die Freiheit meiner Schwester geopfert, damit Sinclair leben kann.«
»So, so. Dann sag mir doch mal, wie lange hast du gebraucht, um diesen klugen Plan zu ersinnen? Oder gab es gar keinen richtigen Plan? Hattest du wieder mal das Glück der Dummen und hast, einer plötzlichen Eingebung folgend, beschlossen zu handeln? Und dann zu deinem Erstaunen gemerkt, dass dein dilettantisches Vorgehen tatsächlich funktioniert?«
»Du musst wissen, dass ich den Plan nach mühsamer Überlegung und unter beträchtlicher Voraussicht …«
»Aus dem Ärmel geschüttelt hast.«
»Nun … ja. Und mein Entschluss stand fest, nachdem Satan über meinen Königinnen-Blog gemeckert hatte. War es das, was du wissen
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