Werwelt 03 - Der Nachkomme
Ding hab ’ ich noch nie erlebt«, meinte er gri n send. »Aber so was Schönes auch noch nie.«
Sie lachte flüchtig, doch dann wurde ihr Gesicht ernst. »Du weißt jetzt, daß ich kein Mädchen wie alle anderen bin«, sagte sie, während sie sich aufsetzte und ihn ansah. »Es ist Wirklichkeit, Bo.«
Er öffnete die Augen und sah auf. Die Frau, die er liebte, saß am Kopfende des Betts. Allein der Anblick ihres gla t ten, vollendeten Körpers fachte neue Erregung in ihm an. Doch sie hatte ihn etwas gefragt.
»Wie bitte? Entschuldige«, sagte er.
»Ich habe Angst davor, daß du über das, was geschehen ist, nachdenken wirst und irgendwann später denken wirst, wie gräßlich es ist.«
»Es ist nicht gräßlich«, widersprach er, als er den Schmerz sah, der in ihr Gesicht kam. »Es ist ganz einfach etwas, das zu dir gehört.«
Er konnte noch nicht klar denken, doch etwas in seinem Geist begann die unglaubliche, übernatürliche Unwirklic h keit seiner Situation zu ertasten.
»Nein, so ist es nicht«, entgegnete sie und zog sich das Leintuch hoch über die Schultern. »Es gehört nicht zu mir. Ich gehöre zu ihm.«
»Wie meinst du das?« fragte Bo und wünschte, das G e fühl der Angst in seinem Inneren würde vergehen. Er sprach zu laut: »Du hast das eben, das passiert dir eben.«
»Ich bin erst seit einem Jahr am Leben, Bo.«
»Jetzt wart einmal!« sagte er, innerlich plötzlich kalt. »Du bist zwar jünger als ich, aber so jung bist du auch wi e der nicht.«
Der Scherz kam nicht an.
»Sie ist die Wirkliche. Ich bin nur etwas, dessen sie sich bedient, um sich in dieser Welt bewegen zu können.« Lilly hielt die Hand hoch, als er sprechen wollte. »Sie ist lieb und gut und sie liebt die Menschen, aber sie benützt sie nur – wie eine Maske oder ein Kostüm. Du weißt doch, was geschah, als wir uns vorhin liebten und als wir beide so – so in Ekstase waren. Sie konnte meine Gestalt nicht fe s thalten, weil sie es auch genoß. Sie ist immer da, immer bei mir, manchmal stärker als zu anderen Zeiten, aber doch immer.«
Lilly schloß die Augen.
Bo versuchte, ihr zuzuhören, doch sein Verstand wollte entgegnen, daß dies alles Unsinn war, etwas, das sie ve r gessen konnten.
»Lilly, das ist doch alles nur Phantasie. Wir lieben uns, das weiß ich jetzt, und wenn dir – na ja, wenn dir etwas fehlt, dann können wir das doch ändern oder einfach ign o rieren. Du bist so lieb und so gut, so liebevoll.« Er bemühte sich, seine Worte sagen zu lassen, was er meinte. »Du hast ganz einfach dieses – dieses Problem.«
»Ich bin kein wirklicher Mensch«, flüsterte Lilly.
»Sag das nicht«, entgegnete er, Zorn in der Stimme. Er konnte diesen plötzlichen Sturz ins Leere nicht ertragen. »Du bist der wirklichste Mensch, den ich je gekannt habe.«
Doch zur gleichen Zeit spürte er jene dritte Gegenwart. Es war nicht so, als sähe er sie in Lilly, sondern als läge sie dort neben ihm, auf dem Bett ausgestreckt, groß und bla u grau und beängstigend in ihrer Stärke. Er wußte, daß es wahr war.
Jetzt hatten sie die Rollen getauscht; sie war die Schw a che, und Bo war der Starke. Er war noch nicht bereit, das zu akzeptieren, unsicher und verwirrt, wie er war, immer noch bemüht, diesen Wechsel in eine Welt, die so ganz anders war als die, die er immer gekannt hatte, zu begre i fen.
»Du bist der realste Mensch, der mir je in meinem L e ben begegnet ist«, sagte Bo und drückte sie linkisch an sich.
»Nein, nein.« Sie sprach leise, wie ein Kind, das sich seine Furcht eingesteht. »Vor weniger als einem Jahr stand ich auf der Straße vor dem Haus von Dan und Polly und blickte auf die Hausnummer und dachte, daß ich diese Menschen dazu bringen müßte, mich zu mögen. Und das ist die erste Erinnerung, die ich an diese Welt habe.«
Sie hob ihren Kopf aus seiner Umarmung, um ihn anz u sehen.
»Dieses Katzenwesen ist es, das nicht real ist, Liebes«, beteuerte Bo, obwohl er selbst nicht glaubte, was er sagte. Zu lebhaft erinnerte er sich noch der Umarmung, dieses muskulösen Körpers und des gewaltigen Brüllens, bei de s sen Klang den anderen Gästen im Hotel die Haare zu Berge gestanden haben mußten.
»Ich weiß nicht einmal, weshalb sie hier ist«, fuhr sie fort. Ihre Stimme war leise, ihr Ton geistesabwesend. »Sie hat mich hierher gebracht, damit ich bei Dan und Polly l e ben konnte, und ich liebe die beiden auch von ganzem He r zen, aber ich habe ihnen alle möglichen Lügen über mich erzählt, Lügen,
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