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Werwelt 03 - Der Nachkomme

Werwelt 03 - Der Nachkomme

Titel: Werwelt 03 - Der Nachkomme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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er hatte noch zwei weitere Augen genommen, ehe er die ju n ge Frau wiedererkannte, der er am Morgen begegnet war, Sarah Lakuchai, die Frau, die er so schön gefunden hatte. Sie saß ihm direkt gegenüber, so daß die flackernden Schatten zunächst ihr Gesicht verborgen hatten. Jetzt aber, als die Flammen niedriger tanzten, beobachtete er sie und sah, daß ihre Augen ihn anblickten. Ihre Dunkelheit schien größer im Dämmerlicht des Hogans. Barry spürte, wie sich alles in ihm weitete, fühlte sich gut, fühlte sich leicht und jung, hätte plötzlich am liebsten ein Lied gesungen. Schlürfte das Lied hinunter, konnte jedoch ein Lächeln nicht unterdrücken. Er fühlte sich so kraftvoll und b e schwingt, als könnte er fliegen, wenn er es nur versuchte, als ob die Schwerkraft und das Gebundensein an die Erde Sinnestäuschungen wären, die er überwinden könnte. Ja, sie sind Sinnestäuschungen, dachte er, während er auf die Augen der Frau blickte, die jetzt größer waren, als er für möglich gehalten hätte. Er wandte seinen Blick ab, als e i ner der Indianer vor ihm vorüberging. Er erinnerte sich, wo er saß, und er saß still, als ihm klar wurde, daß er beinahe aufgesprungen wäre, um etwas zu singen oder einen Tanz anzufangen, weil er sich so gut fühlte. Sei ruhig, sagte er sich selbst und beschloß, still sitzenzubleiben und in die Geheimnisse einzudringen.
    Immer wieder sangen einzelne Menschen, und das Trommeln hörte nicht auf, und der alte Fischermann sang, den Kopf weit in den Nacken geworfen, während ihm die Tränen durch die Falten und Furchen des Alters über die Wangen rannen, so daß Barry von tiefem Mitfühlen g e packt wurde, beinahe das Lied verstehen konnte, dessen Worte ihm zu Bildern und Symbolen der Seele wurden. Der Feuermann überwachte das brennende Holz, und der Weihrauchmann warf von Zeit zu Zeit feine Späne ins Feuer. Der Straßenmann sang und ging im Kreis herum, und an Barrys Seite saß sein Freund, Johnny Strong Horse, der jetzt in der Sprache seines Volkes ein tieftönendes Lied sang, von dem Barry wiederum meinte, es verstehen zu können. Eine Traurigkeit und eine Kraft, ein Ruf um Hilfe schwangen in diesem Lied, und als Barry wieder ins Feuer blickte, sah er ohne Verwunderung, wie sich die Gestalten der Geister aus den züngelnden Flammen hoben, unsich e ren und schwankenden Fingern gleich, die aus einer and e ren Welt emporstrebten, suchende schlanke graue Finger, die diese Welt berühren wollten.
    Fasziniert sah er zu, wie die Finger sich aus den Fla m men formten und aufwärtsstiegen, bis sie so groß waren wie das Lied, bis sie das Lied sprachen, bis sie das Lied selbst waren, das nun sichtbar gemacht zu dem dunklen Rauchabzug emporflackerte. Barry saß wie zu Stein ve r wandelt und sah zu, wie die Geister sich in ihren dunklen Farben verwoben, während das Lied des jungen Indianers ins Unendliche fortzudauern schien. Oder sang da jetzt j e mand anderer? Er hätt ’ es nicht sagen können, denn seine Augen ruhten auf den Geistern, die im Inneren des Hogans tanzten und seine Wände in weite Fernen ausdehnten. Und jetzt schrumpften die Menschen auf der anderen Seite des Kreises zu Insektengröße, zu Grillen, die auf dem Boden hockten und ihre braunen, blitzenden Flügel aneinander rieben, um Musik hervorzubringen, während das Lied der Geister in einem sichtbaren scharlachroten Faden aus ihren Mündern rann und einen lodernden Kranz bildete, der rund um den Hogan lief und sich in den Augen der Menschen spiegelte, die sich i m mer weiter öffneten.
    Die Augen der Frau, deren Name Sarah war, wurden größer als der Rauchabzug über ihm, größer als der Hogan, taten ihm eine sichtbare Dunkelheit auf, in die er eintrat. Vorwärts gebeugt stürzte er vornüber und hing waagrecht über der Erde, die unter ihm davonglitt, während er in die dunklen Tore hineinschoß und durch sie hindurch. Der Atem stockte ihm, als er über das nächtliche Land hinaus f log, während seine Kleider sich wie Rauchwirbel hinter ihm in der Strömung drehten. Er hörte mit seinen Ohren und spürte mit seiner Haut die purpurnen Schwingungen, die wie ein Netz rund um ihn anschwollen, wie ein G e spinst von Fäden in unwahrscheinlichen Farben, die zu ihm sangen. Und er hörte und fühlte ein tiefes, gedämpftes Sa i tenspiel, das unter seinen Blicken anschwoll und wieder verebbte, während er durch die Dunkelheit der Augen der Frau flog.
    Wenn sie sie weiter offen hielt, würde er auf ewig in die dunkle

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