Werwolf-Spuk
die Haut wirkte horniger, und die Nägel hatten eine bläuliche Färbung bekommen.
Aus seinem Mund drang eine Mischung aus menschlichen und tierischen Lauten. Vor dem Mund oder der Schnauze sprühte Schaum. Der gesamte Körper zuckte. Er veränderte sich ebenfalls und streckte sich.
Dann warf sich Irving zu Boden. Er rollte sich dabei um die eigene Achse. Er keuchte, er brüllte, und er schlug immer wieder wild um sich. In seinen gelblichen Augen leuchtete ein kaltes dämonisches Licht. Die Füße mussten sich ebenfalls verändert haben, doch die Schuhe platzen nicht auf, ebenso wenig wie die Kleidung, denn sie war weit genug geschnitten.
Suko und ich schauten zu. Eingreifen konnten wir nicht. Der Mann musste diesen Stress bis zu seinem Ende erleben oder bis zu einem Neuanfang, der ihn in die Welt der Dämonen hineinbrachte.
Aber uns war klar, dass wir ihn unter Kontrolle bekommen mussten. Um eine Gestalt wie ihn mussten wir uns kümmern. Da waren wir Heger und Jäger zugleich.
Er würde die Verwandlung auch in der folgenden Nacht erleben, wenn der Vollmond am Himmel stand. Dann würde er endgültig zu einer Kreatur mutieren, wobei es keinen Weg für ihn mehr zurück in das menschliche Dasein gab. Er würde seinem Trieb folgen und Menschen angreifen. Sie zerreißen wollen, sich ähnlich verhalten wie Vampire.
Suko blickte mich für einen winzigen Moment an. Es war mehr eine stumme Frage, die er mir stellte.
Ich nickte.
Zwischen uns war alles klar. Suko würde sich um Irving kümmern. Er war der Kräftigere von uns.
Amos war noch mit seiner Verwandlung beschäftigt, und genau das nutzte Suko aus. Er griff ihn blitzschnell an, schleuderte ihn auf den Bauch und legte ihm die Handschelle als Fußfessel an.
Irving bekam es zunächst nicht mit. Bis er sich wieder herumwarf und aufstehen wollte. Da merkte er, dass ihn die Fußfesseln hielten, und er nicht mehr in die Höhe kam. Er versuchte es, fiel aber hin und prallte gegen die Rückwand des Waggons.
»Das ist besser als Handschellen«, sagte mein Freund, und ich musste ihm zustimmen.
Amos Irving wollte es noch nicht wahrhaben. Auf dem Boden liegend, versuchte er, sich von den stählernen Zwingen zu befreien, was er nicht schaffte, und es war ihm auch nicht möglich, ohne Hilfe aufzustehen. Minutenlang dauerte sein Versuch, bis er schließlich aufgab und still liegen blieb. Noch immer auf dem Bauch. Sein Gesicht sahen wir nicht. Wir hörten nur das leise Knurren, das aus seinem Mund drang.
Den Kampf hatten wir gewonnen. Aber wir würden noch weiter bei ihm bleiben und ihn nicht aus den Augen lassen. Er war für uns die einzige Spur zu dieser Werwolf-Quelle, die nicht hier in London zu suchen war, sondern weiter nördlich, in Schottland.
Ich erinnerte mich daran, dass er sogar einen Ort genannt hatte. Dundee. Das brachte mich sofort auf eine bestimmte Gedankenschiene. In dieser Stadt wohnte eine gute Freundin von mir. Sie hieß Maxine Wells, war Tierärztin und lebte dort gemeinsam mit ihrem Ziehkind, dem Vogelmädchen Carlotta.
Ob Max etwas wusste, was in ihrer Gegend los war?
Ich bezweifelte es. Wäre es so gewesen, hätte sie mir bestimmt Bescheid gegeben, denn so etwas war eigentlich zwischen uns beiden abgesprochen.
Amos Irving war ruhig geworden. Nicht still, nein, er röchelte noch vor sich hin, aber er dachte nicht mehr daran, sich befreien zu wollen. So konnten wir es wagen, ihn anzufassen.
Wieder trat Suko in Aktion. Er sprach seinen Namen aus, dann fasste er zu und drehte Amos auf den Rücken.
Ganz schaffte er es nicht. Aus der Bewegung heraus schleuderte sich Irving in die Höhe. Sich hinzustellen war ihm bei dieser Aktion nicht möglich. Die Fesseln hielten ihn zu sehr fest, aber er wollte auch nicht angefasst werden.
So gut wie möglich schlug er nach Suko, der sich dies nicht gefallen ließ, es auch schaffte, auszuweichen, und dann den richtigen Griff ansetzte, um Irving zu Raison zu bringen. Er fasste ihn an den Beinen an und zerrte hart daran.
Der Oberkörper des Mannes fiel zurück. Wir hörten, wie er mit dem Hinterkopf aufschlug. Unsere Position war die bessere, das merkte auch Irving, den er gab seinen Widerstand auf.
Rücklings blieb er liegen. Suko ließ die Beine los. Sie fielen zurück auf den hölzernen Waggonboden, und nun hatte der Mann jeglichen Widerstand aufgegeben.
Ja, für mich war er noch ein Mann oder ein Mensch. Die Metamorphose hatte ihn nicht ganz erfasst. In der nächsten oder übernächsten Nacht würde es so
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