Werwolf-Spuk
Carlotta. Mal eine andere Frage. Was ist denn mit dir?«
»Ich suche ebenfalls.«
»Allein?«
»Klar.«
Ich schluckte. Das hatte ich geahnt. Carlotta setzte dabei auf ihre Vorzüge. Sie konnte fliegen, was für uns normale Menschen aus eigener Kraft wohl immer ein Traum bleiben würde. Ich dachte daran, dass ich schon mit ihr geflogen war. Sie hatte mich gut tragen können, da war sie schon kräftig genug.
»Dann nimm mich mit.«
Das Vogelmädchen wich zurück und hob seine Hände an. »Nein, John, das werde ich nicht tun. Du musst den normalen Weg gehen. Es ist nicht gut, wenn ich auf jemand Rücksicht nehmen muss. Wenn ich allein bin, komme ich besser durch.«
Ob das so stimmte? Da hatte ich meine Zweifel. Allerdings war sie allein beweglicher.
Ich wollte noch etwas sagen, aber Carlotta hatte sich bereits entschlossen. Wäre es anders gewesen, wäre ich sogar enttäuscht gewesen, denn sie war eine Person, die ihren Kopf durchsetzte. Wenn sie sich mal zu etwas entschlossen hatte, konnte niemand sie noch aufhalten. Deshalb unternahm ich auch keinen Versuch, sie umstimmen. Sie lief noch zwei, drei Schritte von uns weg, streckte dabei die Arme seitlich aus und bewegte sie von oben nach unten.
Die Flügel mit den weichen Federn breiteten sich aus, und wenig später stieg sie in die Luft und flog einer Lücke zwischen zwei Bäumen entgegen.
»Ist vielleicht besser so, wenn sie ihren eigenen Weg geht, das heißt fliegt«, meinte Suko.
»Kann sein.«
»Sie wird uns sicherlich Bescheid geben, wenn sie etwas sieht.«
»Wollen wir so lange warten?«
»Bestimmt nicht.« Suko stand nahe bei Amos Irving, der in einen ungewöhnlich lethargischen Zustand gefallen war. Er sagte nichts mehr. Er schaute nur nach vorn, doch es sah aus, als würde er mehr in sich hineinblicken.
»Geh schon, John, und halte die Augen offen.«
»Okay.«
Dass ich Suko mit Irving allein ließ, gefiel mir nicht, aber momentan sah ich keine bessere Möglichkeit...
***
Es war plötzlich so still geworden, dass Maxine Wells den Atem anhielt, als hätte man ihr einen Befehl gegeben, diese Stille nicht zu stören.
Wenn man je von einem Schweigen des Waldes sprechen konnte, dann traf das hier zu. Alle Geräusche hatten sich zurückgezogen, und von den vier Männern hörte sie ebenfalls nichts.
Aber sie waren noch da. Es wäre fatal gewesen, zu glauben, dass sie sich zurückgezogen hätten. Es gab genügend Verstecke, in denen sie lauern konnten.
Für Maxime stand längst fest, dass sie der Fluch eines Werwolfs erwischt hatte. Sie lebten praktisch in zwei Existenzen. Zum einen als normale Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen, zum anderen drohte ihnen einmal im Monat die Verwandlung in eine Bestie, deren Opfer Menschen waren.
Auch sie verhielt sich still. Sie stand nicht mehr. Ihren Sitzplatz hatte sie auf einer der beiden Holzbänke gefunden. Allerdings saß sie so, dass sie durch die Lücke nach draußen schauen konnte, um die Umgebung vor der Hütte zu beobachten.
Die Dunkelheit ließ sich mit ihrer Ankunft Zeit. Noch lag um die Hütte herum eine Grauzone, aber es war für Maxine schwer, sie mit ihren Blicken zu durchdringen.
Mal ein Knacken. Ein leises Rascheln. Vielleicht auch eine Tierstimme – mehr hörte sie nicht. Aber das waren keine Geräusche, die von Menschen stammten. Sie gehörten zu der nächtlichen und sehr leisen Sinfonie des Waldes.
Die Verfolger bestimmten selbst, wann sie eingreifen wollten und wann nicht. Dagegen tun konnte Maxine nichts. Sie wollte es auch nicht. Nur nicht den Tiger reizen.
Graue Dunkelheit, die die scharfen Umrisse fraß. Etwas, das nicht gut für das menschliche Auge war, weil es keine Unterschiede ausmachen konnte. Es gab den Feinden Schutz und Deckung, aber auch denjenigen, die sich vor den Feinden versteckten.
Und das tat sie, obwohl ihre Lage schlechter war.
Die andere Seite wusste, wo sie sich befand. Umgekehrt war dies nicht der Fall.
Maxine gratulierte sich selbst dazu, dass sie ihre Angst überwunden hatte und wieder in der Lage war, klar zu denken. Wer das in ihrer Situation tat, der dachte auch an Flucht.
Ob die andere Seite besser sah als sie, das wollte sie mal dahingestellt sein lassen. Darüber nachzudenken war nicht gut, das lenkte sie ab, aber sie hatte auch keine Lust, noch länger wie ein Fisch im Netz zu zappeln.
Sie würde den Fluchtversuch wagen!
Es stand für Maxine nicht hundertprozentig fest, dass die vier Feinde sie umzingelt hatten. Eigentlich hielten sie sich vor
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