Werwolf-Spuk
Himmel schon eingedunkelt, und als sie nach dem Mond schaute, hatte sich seine Farbe verändert. Er zeigte schon fast ein sattes, volles Gelb.
Bald würde er seine volle Strahlkraft erreichte haben und dann? Was geschah dann?
Sie konnte es sich vorstellen, aber sie wollte es nicht. Es war noch zu weit weg. Obwohl sie schon viel erlebt hatte, war es für sie nicht nachvollziehbar, dass sich Menschen in Werwölfe verwandelten und andere Menschen mit ihren mörderischen Gebissen zerrissen.
Still war es geworden, unnatürlich still. Die Dämmerung schlich weiter. Sie sorgte dafür, dass die Welt von einem Gefühl zwischen Tag und Traum erfüllt wurde.
Alles veränderte sich.
Jedes Wort, das jetzt gesprochen wurde, klang irgendwie lauter. Jedes Rascheln der Blätter erinnerte an eine geheimnisvolle Botschaft aus versunkenen Reichen.
Tiere, die sich tagsüber versteckt hielten, erwachten allmählich, um zu fressen oder gefressen zu werden. Die Natur war gerecht. Sie hielt alles im Gleichgewicht, und es hatte auch alles seinen Sinn.
Und trotzdem erlebte Maxine dieses Erwachen der Natur nicht. Alles blieb so still, und der Mond glotzte nach unten wie ein kreisrundes gelbes Auge.
Die Tierärztin stand auf dem Platz und spürte eine Nervosität wie selten zuvor. Es würde, es musste etwas passieren. Die vier Männer, von denen sie ebenfalls nichts hörte, hatten sich nicht grundlos versammelt.
Allmählich wurde der Wald von einem grauen Tuch bedeckt. Die Lücken zwischen den blattlosen Ästen der Laubbäume schmolzen zusammen. Das Grau des Himmels schien sich auf den Wald zu senken, um alles in sich aufzusaugen.
Im Osten lauerte bereits das Gespenst der Nacht, um endlich zuschlagen zu können, damit die Welt nur ihr gehörte.
Maxine stand da wie eine Läuferin, die auf den Startschuss wartete. Ihr Atem ging flach, das Herz klopfte schneller. Sie wartete auf den Anfang, obwohl der leicht zu ihrem Ende führen konnte. Aber sie wollte es hinter sich haben.
Der Mond leuchtete inzwischen in einem noch kräftigeren Gelb. Scharf malte er sich vom Hintergrund ab. Es gab nichts an seinem Rand, was zerfasert wäre. Er sah einfach perfekt aus.
Und dann geschah es.«
Der Schrei war schrecklich. Er zerriss brutal die Stille des Waldes. Ausgestoßen wurde er von einem Menschen. Nur wusste sie nicht, welcher der Männer ihn abgegeben hatte.
Sie hörte auch die folgenden Schreie. Es war jedes Mal ein Anfang, aber es ging weiter, denn auch die Schreie veränderten sich. Sie gingen über in Geräusche, die selbst für eine Tierärztin nur schwer nachzuvollziehen waren. Sie kannte sich mit den Vierbeinern aus, aber sie hätte nicht sagen können, welcher Schrei zu welchem Tier gepasst hätte.
Von allen Seiten erwischten sie die schrecklichen Laute, und jetzt wusste sie Bescheid.
Man hatte sie eingekesselt!
Vier Menschen, von denen sie glaubte, dass sie ihr nicht mehr als Menschen gegenübertreten würden, sondern nur noch als blutgierige Bestien...
***
»Ich bleibe nicht hier!
Carlotta hatte diesen Satz ausgesprochen, und er stand wie ein Dogma zwischen Suko und mir.
»Davon hat keiner gesprochen«, sagte ich.
»Aber du hast es gedacht.«
Ich fühlte mich ertappt. »Stimmt.«
Sie lächelte und sagte dann: »Außerdem kenne ich die Gegend hier am besten. Der Butler hat dir zwar den Weg beschrieben, aber du weißt nicht, wie tief du in den Wald hineinfahren kannst, um nicht mehr so weit laufen zu müssen.«
»Tu, was du willst«, sagte ich nur.
»Immer doch.«
Der Leihwagen fasste uns alle. Ich fuhr, das Vogelmädchen saß neben mir, und mein Freund Suko hatte Amos Irving mit auf den Rücksitz genommen, wo er auf ihn Acht gab.
Uns war schon aufgefallen, dass er sich verändert hatte. Mit der normalen Ruhe war es vorbei. In seinem Zustand konnte man das als normal ansehen, wie auch seinen Blick, den er des öfteren nach oben in den Himmel warf, der noch immer seine Helligkeit zeigte, aber auch die ersten Schatten aufwies, die ankündigten, dass es bis zur Dämmerung nicht mehr weit her war.
Es war wirklich gut, dass Carlotta neben mir saß. Wieder musste ich ihr innerlich ein Kompliment machen. Anderen Kindern ihres Alters war sie um Längen voraus. Sie war sehr intelligent, und man hatte während ihrer Gefangenschaft für eine gute Ausbildung gesorgt.
Auf der normalen Strauße blieben wir nicht. Wir rollten über einen breiten Feldweg hinweg, der einen großen Acker in zwei Hälften teilte. Da wuchs nichts. Wir sahen
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