Werwolfkind (German Edition)
dass du ihm nichts mehr durchgehen lässt. Das wird er sich zu Herzen nehmen und dir weiter treu dienen. – Oder soll ich mit ihm sprechen?«
»Ich bin der Marchese. Ich rede mit ihm. Don Fabiano habe ich eine Warnung zukommen lassen. Ich kann sie verschärfen.«
Francesca sah das Funkeln in den Augen ihres Gatten. So wie er jetzt dreinschaute, hatte sie Angst vor ihm, obwohl sie sich sicher war, dass er ihr nie etwas antun würde. Als er den Mund öffnete, sah sie, dass sein Gebiss leicht verändert war. Seine Eckzähne lang und spitz, nicht wie die eines Vampirs, nein, wie die Reißzähne eines großen Wolfs.
Der Vollmondeinfluss war noch nicht ganz von ihm gewichen.
»Du würdest ihn als ein wilder Werwolf aufsuchen? In seine Villa einbrechen, trotz aller Wachen und Sicherheitsmaßnahmen, die er bestimmt hat? Ihn zur Rechenschaft ziehen?«
»Als Werwolf, oder wie immer. Ich kann reiten, schießen und fechten. Ich kann mit dem Stilett umgehen. Als Werwolf habe ich nie einen Mann getötet. Doch als Mensch bei einer Bergtour vor ein paar Jahren einen Räuber, der mein Geld und mein Leben wollte. Ich warf seinen Leichnam in eine Bergschlucht, wo sie wohl heute noch liegt – vielmehr das, was von ihm übrig ist. Und…«
Der Marchese verstummte. Francesca fragte sich, ob er noch mehr getan hatte als das, was er ihr schilderte. Sie fragte ihn nicht. Er sollte von selber reden.
Doch es kam nichts mehr, was weitere Tötungen von Menschen oder Gewalttaten betraf.
»Der Mafia-Boss will uns nichts Gutes«, sagte Ricardo. »Wenn er Benito hätte befreien lassen, hätte das unseren Tod bedeutet. Davon bin ich überzeugt. Mein Halbbruder darf nie wieder frei sein. – Don Fabiano soll sich vor mir hüten, wenn er mich noch einmal verärgert.«
Francesca sagte nichts dazu. Ricardo konnte sehr zärtlich sein. Er war ein wunderbarer Liebhaber. Doch er hatte auch etwas Wildes, Gewalttätiges in sich, das manchmal durchschimmerte. Er vereinte einige Gegensätze in seinem Charakter.
Stolz war er, doch manchmal auch sehr verletzlich.
Francesca schmiegte sich an ihn. So saßen sie noch, als der Tag anbrach. Die Sonne ging über dem Ionischen Meer auf. Der Mond war untergegangen. Der Wolfsmond entwickelte seine Kraft nicht mehr, und es würde einen knappen Monat dauern, bis er sie wieder entfaltete.
Francesca lag in Ricardos Armen. Sie schlief tief und fest, und ihr beider Kind schlummerte in der Wiege. Ricardo fand keinen Schlaf. Seine Augen waren gerötet und trüb. Er hing düsteren Gedanken nach. Was soll jetzt werden, dachte er? Der Fluch der Lampedusas hat mich eingeholt.
Vor allem mussten sie an die Tag Professor Cascia anrufen. Er würde nicht erfreut sein.
*
Um dieselbe Zeit standen der stämmige Aldo und der große und muskulöse Dino vor dem gefürchteten Mafia-Don Fabiano Ferragusta in seiner Villa in Reggio, der Hauptstadt Kalabriens. Das von einer Mauer umgebene weitläufige Anwesen stand hoch über der Straße von Messina. Von der Terrasse aus hatte man einen hervorragenden Ausblick.
Bei gutem Wetter sah man die Küste Siziliens ferne am Horizont. Don Fabiano empfing die beiden Pechvögel auf der Terrasse. Sie hatte Marmorfliesen, eine niedere Brüstung, unter der es steil in die Tiefe ging, und war von blühenden Oleander- und Bougainvilleabüschen eingerahmt. Es duftete auf der Terrasse.
Zu dieser Blütenpracht und dem Zierteich mit bunten Fischen und sündteuren Kois bildeten die beiden Leibwächter des Dons einen grellen Kontrast. Sie trugen schwarze Hosen, weiße Hemden und hatten Schirmmützen auf.
Jeder trug die Lupara über der Schulter, die sizilianische Schrotflinte, eine bevorzugte Waffe der Mafia. Sie standen da wie die Marmorstatuen, die ebenfalls die dreihundert Quadratmeter große Terrasse zierten. Wirkten jedoch weniger antik als diese.
Dino und Aldo standen vor dem gefürchteten Don wie dumme Schulbuben, die etwas ausgefressen hatten. Sie waren die Strecke vom Castello Lampedusa nach Reggio durchgefahren, als ob ihnen der Teufel im Nacken säße.
Aldo hatte sich in einem Krankenhaus die Wunde am Hals versorgen und eine Tetanusspritze und eine gegen die Tollwut geben lassen. Er hatte bei der Aufnahme gesagt, er wäre von einem wilden Hund gebissen worden. Jetzt war sein Hals dick verpflastert.
Die beiden hatten ihre Waffen, so weit sie noch über welche verfügten, abliefern müssen, bevor sie zum Don auf die Terrasse durften. Don Fabiano empfing sie am allein. Er saß an
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