Westwind aus Kasachstan
ist das. Und wie reagiert Bonn? Das Innenministerium nennt mich einen Volksaufwiegler, einen politischen Verführer, einen Machtbesessenen! Ich und Macht? Was soll ich mit Macht anfangen? Ich will nur eine gerechte Behandlung.«
Bergerow hatte sich in Rage geredet. Die Empörung über das Bonner Innenministerium stand ihm im Gesicht geschrieben. Er sprang auf, ging zu einem Kühlschrank, ein altes Modell, das schon dreimal repariert worden war mit dem Improvisationstalent der Russen, denn einen neuen Kühlschrank zu bekommen, war fast unmöglich, riß die Tür auf und holte zwei Dosen chinesisches Bier heraus. »Du auch eine?« fragte er dabei.
Weberowsky nickte. »Gern.«
Bergerow riß den Verschluß auf und reichte ihm eine Dose. Ein Glas sparte er sich. »Weißt du übrigens, daß die Regierung von Kasachstan plant, in Alma-Ata und Karaganda deutsche Brauereien zu bauen, mit deutschen Braumeistern, vornehmlich von der bayerischen Bier-Universität Weihenstephan? Außerdem will sie Industriebetriebe ansiedeln. Alles, um Geld in die leeren Kassen zu holen und einen Teil der Rußlanddeutschen in Kasachstan zu halten. Dann gibt es kein chinesisches Bier mehr, sondern nur noch deutsches. Gebraut nach dem Reinheitsgebot. Es soll auch in andere Republiken exportiert werden. Ich bin gespannt, was dann aus den Schreiern wird, die überall das Volk aufwiegeln. ›Kein Viertes Deutsches Reich in Rußland‹ ist ihre Lieblingsparole. In Kasachstan und der Ukraine kommt sie gut an. Die ersten Berichte von Pogromen gegen Deutsche habe ich schon auf dem Tisch liegen.« Er nahm wieder einen langen Schluck und sah dann Weberowsky mit einem Blick voller Vorwurf an. »Was ist eigentlich bei euch im Gebiet Atbasar los? Da werden hundsgemeine Flugblätter verteilt.«
»Nimm sie nicht wichtig, Ewald.« Weberowsky winkte ab. »Ein dickes, fanatisches Weib schreibt sie. Eine ehemalige Scharfschützin eines Frauenbataillons im Großen Vaterländischen Krieg. Genau betrachtet ist es ein Privatkrieg zwischen ihr und mir. Aber ich glaube, daß es keine neuen Flugblätter mehr gibt.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe das wilde Frauenzimmer gestempelt.«
»Was hast du?« Bergerow riß die Augen auf. »Wenn das deine Frau erfährt!«
»Sie weiß es. Ich habe es ihr erzählt.«
»Und das nimmt sie so ohne weiteres hin? Du stempelst … du treibst es mit einer anderen Frau und –«
Weberowsky starrte Bergerow verständnislos an. »Von was redest du, Ewald?«
»Du hast selbst gesagt …«
»Ich habe gesagt: Ich habe Katja Beljakowa gestempelt. Ich habe aus dem Schlachthof einen Stempel der Fleischbeschau gestohlen und ihn ihr auf beide Arschbacken gedrückt. Der ganze Bezirk hat sich gebogen vor Lachen. Es wird behauptet, die Beljakowa habe eine Woche lang geschrubbt, aber den Stempel ist sie nicht losgeworden. Mir kann man nichts nachweisen, aber es wird Katjas letztes Flugblatt gewesen sein.«
»Darauf trinken wir noch ein Bier der chinesischen Freunde.« Auch Bergerow lachte jetzt laut und meinte dann: »Wenn man bei uns alle Probleme so einfach lösen könnte! Aber da sieht man, wie wertvoll ein Stempel ist. Stempel beherrschen unser Leben. Wenn du nicht den richtigen Stempel auf dem richtigen Papier hast, bist du kein Mensch mehr. Zum Wohle und einen tiefen Schluck auf Katja Beljakowa.« Sie tranken auch diese Bierdose leer, und dann stellte Weberowsky die Frage, die ihn eigentlich nach Ust-Kamenogorsk getrieben hatte.
»Wo liegt Kirenskija, Ewald?«
»Kirenskija? Nie gehört! Wo soll es sein?«
»Hier, in der Nähe von Ust-Kamenogorsk.«
»Unmöglich! Ich kenne hier jeden Ort, jedes Dorf. Was soll dieses Kirenskija sein?«
»Eine Stadt.«
»Sogar eine Stadt! Wolfgang, das muß ein großer Irrtum sein. Die einzige Stadt in der Umgebung ist Zyranowsk , und dann kommt nichts mehr bis zur Grenze von China. Ödes Land, Steppe, zwei Gebirgszüge, der Saissan-See, wo der später große Strom Irtysch entspringt. Ein Land ohne Menschen, einsam und feindlich. Wie kommst du auf den Namen Kirenskija?«
»Mein Schwager wohnt dort. Ernas Bruder.«
»In –«
»Der Absender lautet so. Ich habe schon bei der Post in Atbasar gefragt und bei der Post in Karaganda. Niemand kennt die Stadt. Und wenn ich den Brief zeige, den mein Schwager Andrej Valentinowitsch geschrieben hat, wundert man sich und schüttelt noch mehr den Kopf. Aber es muß dieses Kirenskija geben, denn es wohnen ja Menschen da!«
»Und hier in der Nähe soll es
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