Wetterleuchten
Uganda adoptiert worden war. Warum die beiden zusammen waren, war Jenn ein Rätsel. Derric war groß, sportlich und unglaublich attraktiv, von seinem glatt rasierten Kopf bis hin zu seinen perfekten Zehen. Becca war ... Na schön, sie war die Speckschwarten losgeworden, die sie mit sich herumgetragen hatte, als sie auf der Insel aufgetaucht war und Jenn sie Klugscheißer-Fettarsch getauft hatte. Aber ansonsten sah sie immer noch aus wie vorher: scheußlich gefärbte dunkelbraune Haare, ein breites Brillengestell aus einem anderen Jahrhundert, formlose Klamotten und so viel Make-up, dass man meinen konnte, sie wollte sich in einem Zirkus bewerben. Derric und Becca waren der lebende Beweis, dass Gegensätze sich anziehen. Das Einzige, was sie gemeinsam hatten, war Grips, und davon hatten sie beide mehr als genug.
Sie setzten sich an einem der Bibliothekstische einander gegenüber, unterhielten sich aber weiterhin leise. Sie schienen sogar noch mehr aufeinander fixiert zu sein als sonst, und als Derric flüsterte: »Nein, das ist es ja gerade. Es stört mich, okay? Und es würde jeden anderen Typen auch stören, und wenn die Situation andersherum wäre, würde es dich auch stören. Wieso kapierst du das nicht, Becca?«, ließ Jenn, die nichts so sehr liebte wie Klatsch und Tratsch, sofort aufhorchen. Gab es etwa - huch! - Ärger im Paradies? Sie konnte es nur hoffen. Wenn es auf der Straße der wahren Liebe Schlaglöcher gab, wollte sie es als Erste wissen.
Leider verriet ihr Beccas Antwort nicht viel. Sie sagte leise: »Es hat nichts zu bedeuten, und das wird es auch nie. Warum kapierst du das nicht?«
»Wie soll ich das kapieren?« Er rückte vom Tisch ab.
»Derric, du hast gesagt, wir könnten darüber reden.« Becca streckte die Hand aus und legte sie auf seinen schokoladenbraunen Arm. Eigentlich hätte er jetzt seine Hand über ihre legen sollen, dachte Jenn, aber er dachte gar nicht daran. Er war stinksauer.
»Immer, wenn wir darüber sprechen, läuft es auf das Gleiche hinaus«, gab er unwirsch zurück. »Das hat doch keinen Sinn.«
»Aber es hat nichts zu bedeuten.«
Was hat nichts zu bedeuten?, wollte Jenn am liebsten schreien. Was, was, was, Herrgott noch mal? Aber bevor sie eine Antwort darauf bekam oder sich eine ausmalen konnte, hatte sich Derric von Becca losgerissen und war aus der Bibliothek gestürmt, ohne dass ihn sein Gehgips dabei behinderte. Die Tür knallte so laut gegen die Wand, dass selbst Squat von seinen Matheaufgaben aufsah.
Becca blickte ihm nach. Langsam nahm sie einen einzelnen Kopfhörer, den sie ständig im und außerhalb des Unterrichts trug, aus dem Ohr. Es war, als würde dieser Freak jeden in seinen Bann ziehen. Ganz gleich, was die Tussi wollte, sie kriegte es letztendlich immer.
Jenn konnte es sich nicht verkneifen und versuchte es daher erst gar nicht. Sie stand von ihrem Platz am Computer auf und schlenderte hinüber zu Fettarschs Tisch. Sie dachte: Bis zum Ende der Woche hat der mit der Alten Schluss gemacht.
Becca drehte langsam den Kopf und sah sie an: »Als würde das irgendwas in deinem Leben ändern«, sagte sie.
Jenn blieb abrupt stehen und musterte das andere Mädchen. »Was ist denn mit dir los?«, wollte sie wissen.
»Nichts, was du je verstehen würdest«, erklärte ihr Becca.
Kapitel 4
B ecca King wusste, dass Jenn McDaniels sie wegen Derric nicht ausstehen konnte. Sie hatte vermutlich noch andere Gründe - von ihrem Hang, einfach aus Prinzip schnippisch zu sein, einmal abgesehen -, aber Derric war der Hauptgrund. Er war kurz nach Beccas Ankunft auf Whidbey Island in den Saratoga Woods schwer gestürzt, und Becca hatte während seines Krankenhausaufenthalts die Gelegenheit gehabt, ihn kennenzulernen. Vom ersten Augenblick an, als sie ihn auf der Fähre von Mukilteo nach Whidbey Island gesehen hatte, hatte sie sich zu dem jungen Afrikaner hingezogen gefühlt. Warum er sich auch zu ihr hingezogen fühlte, war Becca nach wie vor ein absolutes Rätsel.
Sie hatte sich keine Gedanken über Jenn McDaniels und ihren Platz in Derrics Leben gemacht, als sie ihn kennenlernte, und das war wohl ein Fehler gewesen. Bei Derric fühlte sie sich geborgen, geschätzt, verstanden und akzeptiert - etwas, das sie aufgrund ihres Aussehens niemals zu hoffen gewagt hatte. Fette Tussi, gefärbtes Haar, dicke Brille, Augen-Make-up wie ein alternder Rockstar auf Drogen ... Das gehörte alles zu der Rolle, die sie hier spielen musste. Und nichts davon entsprach ihrer wahren
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