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Wetterleuchten

Wetterleuchten

Titel: Wetterleuchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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fragte sich, was es mit Sharla und Eddie auf sich hatte. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie früher einmal zusammen im Wohnwagen am Rande des Wassers von Possession Point gewohnt hatten.
    Da ging ihr plötzlich ein Licht auf. »Heilige Scheiße«, entfuhr es ihr. »Die Ölkatastrophe ist schuld, oder? Weil Sie und Eddie nach der Katastrophe in dem Wohnwagen eingesperrt waren, und Eddie hatte keinen Schutzanzug an, und da waren Dämpfe und Öl überall, und danach war er völlig anders.«
    »Das verdammte Öl«, schimpfte Ivar. »Das hat das Leben aller in Possession Point verändert.«
    Sharla atmete tief ein. »Nicht das Leben aller«, erwiderte sie. »Nur meines und Eddies. Uns hat es verändert.« Sie setzte sich an den äußersten Rand des Sofas, als wäre sie bereit, jeden Augenblick aufzuspringen und die Flucht zu ergreifen. Aber sie hätte nur bis zur Klippe flüchten können, und jenseits der Klippe ging es steil in die Tiefe zur Useless Bay.
    »Es ist Zeit«, sagte Ivar zu ihr. »Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas treibt seit Jahren einen Keil zwischen uns beide. Es ist Zeit, Sharla.«
    »Ich habe die Latzhosen gefunden«, erzählte ihr Becca. »Sie waren in der Truhe im Hühnerstall.«
    »Oh Gott«, entfuhr es Sharla. »Mehr konnte ich nicht... Er sagte, dass alles weg muss, und er hat es überprüft, um sicherzugehen, aber er hat es nicht gemerkt. Das ist alles, was mir geblieben ist.«
    »Wovon?«, fragte Jenn, kaum lauter als ein Flüstern, obwohl sie nicht sicher war, ob sie die Antwort hören wollte. »Wovon ist Ihnen das als Einziges geblieben?«
    »Da war Öl am Strand«, erklärte Sharla.
    »Aber da war nicht nur Öl«, murmelte Becca.
    Sharla senkte den Kopf. Offenbar musste sie sich zwingen, zu sprechen. »Da war ein Kind. Ein sehr kleines Mädchen. Es war noch ein Baby. Es saß in der Kälte auf dem Strand. Es war nackt. Eddie hat es da sitzen sehen. Es war völlig allein und nackt und zitterte in der Dunkelheit. Ohne einen Laut von sich zu geben. Es war fast, als ... als wartete es darauf, dass er es findet. Er hat es zum Wohnwagen gebracht. Weil niemand sonst da war, um sich um das Kind zu kümmern. Außer mir und Eddie.«
    Niemand sagte ein Wort. Jenn sah zu Ivar, der ernst blickte, und dann zu Becca, die mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten dasaß, die auf ihren Knien ruhten. Jenn wartete, dass Sharla weitererzählte, auch wenn sie allmählich das Gefühl hatte, sie kannte das Ende der Geschichte: die Tage, die sie in dem Wohnwagen verbracht hatten, ohne herauszukommen, wobei sie jetzt einen guten Grund hatten, sich draußen nicht blicken zu lassen.
    Sharla fuhr fort: »Als ich das Baby gesehen habe, wusste ich, sie war ein Geschenk des Himmels. Denn wie konnte ein Baby völlig allein und nackt am Strand sitzen, ohne einen einzigen Kratzer, ohne einen einzigen blauen Fleck, während das Öl vom Meer auf den Sand geschwappt wurde und alles überzog? Und doch war es da. Ich sagte zu Eddie: >Gott muss sie uns geschickt haben<, und Eddie hat mir nicht widersprochen.«
    Ivar sprang auf. Sharla schreckte zurück. Für einen kurzen Moment schien es, als wollte er durchs Zimmer auf sie zu stürmen. Stattdessen ging er zum Fenster und blickte hinaus auf die Useless Bay. Er schlug mit der Faust sanft gegen die Scheibe und schwieg. Becca sah ihn an, während sie mit den Lippen ein überraschtes »Oh« bildete.
    »Ich dachte, wir würden irgendetwas hören«, erklärte Sharla zu Ivars Rücken gewandt. »Ich dachte, wir würden irgendetwas darüber lesen. Über ein Boot, dass Schiffbruch erlitten hatte, über jemanden, der ertrunken war, über irgendetwas, das wir mit dem Baby in Verbindung bringen konnten, aber nirgends war davon die Rede. Ich sagte zu Eddie: >Können wir sie nicht behalten, bis in der Zeitung etwas über ein vermisstes Baby steht?< Und er war einverstanden, und wir warteten und warteten. Einen Monat. Sechs Wochen. Ich weiß es nicht mehr. Aber wir hörten oder lasen weiterhin nichts. Deshalb sagte ich zu Eddie: >Wer würde ein Baby mitten in der Nacht an einem Strand aussetzen? So jemand will das kleine Mädchen nicht und würde es nur misshandeln, wenn er es zurückbekäme.< Versteht ihr, ich wollte das Kind behalten, weil ich wusste, dass ich mich darum kümmern konnte, und das sagte ich Eddie auch.«
    »Herr im Himmel«, murmelte Ivar. Er drückte seine Stirn gegen das Fenster.
    »Anfangs hat Eddie noch mitgemacht, weil ich ... Versteht ihr, ich war

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