Wetterleuchten
um dich. Es geht um Kampala. Es geht um den Menschen, den du zurückgelassen hast, und darum, dass es niemand erfahren soll.«
»Halt die Klappe, halt die Klappe, lass mich in Ruhe, halt die Klappe!«
Becca wusste, dass sie seinen grausamen Tonfall provoziert hatte, als sie den Namen seiner Schwester laut aussprach. Er hatte eine unglaubliche Angst davor, dass es jemand hören könnte. Sein Schrecken lag in derselben Angst begründet, die die meisten Menschen hatten: Er fürchtete, dass man ihn verachten würde, wenn er etwas Negatives über sich selbst preisgab. Dabei war es dieser neue Derric, der verachtenswert war, während sein altes Ich nur zur Wahrheit darüber führte, was es bedeutet hatte, als kleiner Junge verängstigt und allein auf den Straßen von Kampala zu leben.
»Okay«, sagte sie. »Ich halte die Klappe. Du kannst tun und lassen, was du willst. Du bist ein freier Mensch. Tu dir keinen Zwang an. Mach, was du willst. Bei den vielen Sachen, die du tust, machst du vielleicht am Ende das Richtige.«
»Und laut Beccas Weisheit wäre das was?«, wollte er wissen.
»Die Wahrheit zu sagen.«
Er warf seinen Rucksack auf den Boden. Er tat dasselbe mit seinem Heft und dem Buch, das er gerade las. »Du bist so was von scheinheilig«, warf er ihr vor. »Denk mal darüber nach, wenn du schon dabei bist.«
Becca wollte gerade etwas erwidern, als in genau diesem Moment jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um und sah Derrics Mom Rhonda mit einer Karteikarte in der Hand, die sie von dem Gang aus anlächelte, wo die Untersuchungsräume waren.
»Wir haben dich vermisst!«, rief sie glücklich. »Wo hast du dich bloß die ganze Zeit versteckt?«
Derric sah Becca an und zog eine Augenbraue hoch. Sein Gesichtsausdruck sagte: Das ist deine Chance. Wirst du die Wahrheit sagen? Wohl kaum.
Womit er natürlich recht hatte.
Kapitel 12
D erric war nicht überrascht, als Becca die Gemeinschaftspraxis im Eiltempo verließ. Das Letzte, worüber sie mit ihm reden wollte, war, wo sie sich versteckte, weshalb sie sich auf keinen Fall mit seiner Mom darüber unterhalten würde. Er hätte sogar beinahe darüber gelacht, wie schnell sie den Rückzug antrat. Natürlich hatte seine Mom nicht »verstecken« im eigentlichen Sinn des Wortes gemeint. Aber die Tatsache, dass sie nicht wusste, wie nahe sie der Wahrheit gekommen war, machte ihre Frage so lustig.
Er musste sich jedoch eine Erklärung einfallen lassen, warum Becca in der Praxis aufgetaucht war. Rhonda würde es nie und nimmer auf sich beruhen lassen. Da sie noch mit einem Patienten beschäftigt war, hatte er Zeit, sich eine Geschichte auszudenken. Als sie dann mit ihrem üblichen Verhör loslegte, war er gewappnet.
Becca war vorbeigekommen, weil sie eine Frage zu dem Projekt hatte, das sie in Geschichte machten, erklärte er seiner Mom. Sie hatte Zweitunterhosen-Schuman als Projektpartner.
»Oh je«, erwiderte Rhonda. Sie kannte Tod Schuman. Alle kannten ihn. Alle wussten auch, woher er den Spitznamen hatte. »Das wird nicht einfach für sie werden. Wolltest du nicht ihr ...?«
»Der Lehrer hat uns in Zweiergruppen eingeteilt«, log er.
Als sie zu Hause ankamen, ging er direkt in sein Zimmer. Sein Dad war noch nicht von der Arbeit zurück, und seine Mom ging sofort in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Daher hatte er ein paar ungestörte Minuten. Er wollte diese Zeit nutzen, um ein Versteck für die Briefe an seine Schwester zu finden.
Am liebsten hätte er sie im Keller zwischen seinen Kinderspielsachen versteckt. Aber da hätte er durch die Küche gehen müssen, und er konnte nicht riskieren, dass seine Mutter ihn fragte, was er da unten wollte. Außerdem hätte sie voll den Aufstand gemacht, wenn er mit seinem Gips die alte Holztreppe hätte hinuntergehen wollen. Sie hätte sofort gesagt: »Ich geh schnell für dich runter, Schatz. Ich möchte nicht, dass du stürzt. Was willst du von da unten? Ich hol es dir im Handumdrehen«. Das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
Sein Zimmer bot jedoch nicht viele Versteckmöglichkeiten. Im Schrank? Vielleicht. In den Schubladen? Auf keinen Fall. Seine Mom legte immer saubere Kleider in seine Kommode. Unter dem Bett? Eher nicht, wegen des Staubsaugers. In dem uralten Sitzsack? Na ja ... Er war so alt, dass er schon dreimal repariert worden war, und beim letzten Mal war dazu ein 1,20 Meter langes Stück Isolierband nötig gewesen. Unter der geflickten Stelle war der Sessel entlang der Nähte
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