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Wetterleuchten

Wetterleuchten

Titel: Wetterleuchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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andere.
    Er ließ Afrika hinter sich. Auch wenn das für einen Jungen, der von einer amerikanischen Familie adoptiert worden war, unter bestimmten Voraussetzungen verständlich war, bedeutete die Tatsache, dass Derric es tat, mehr, als nach vorne zu schauen. Es bedeutete auch, dass er jemanden zurückließ.
    Und dieser Mensch war nicht Becca King. Dieser Mensch war Derrics Schwester Freude, die er in dem Waisenhaus in Kampala zurückgelassen hatte, als er von den Mathiesons adoptiert wurde. Niemand außer Becca wusste, dass Freude seine Schwester war. Das war das Geheimnis, das Becca für sich behielt, die eine Sache, die sie über Derric wusste und die niemand anders auf der Welt erfahren sollte. Dieses Geheimnis hatte ihre Beziehung ins Ungleichgewicht gebracht und zu ihrem Scheitern geführt. Sie kannte sein Geheimnis; aber er kannte ihres nicht.
    Ihr Geheimnis hatte nichts damit zu tun, wer sie in ihrem tiefsten Innern war. Derrics Geheimnis schon. Und zu sehen, wie er Afrika zugunsten von etwas anderem, ganz gleich, was es war, zurückwies, war ihr unerträglich. Instinktiv wusste sie, dass es falsch war. Instinktiv wusste sie auch, dass sie ihn aufhalten musste. Becca war seit Ewigkeiten nicht mehr in den Saratoga Woods gewesen. Als sie noch in Langley im Cliff Motel bei Debbie Grieder und ihren Enkeln gelebt hatte, war es kein Problem gewesen, dorthin zu kommen. Selbst nachdem sie Expertin darin geworden war, die siebenundzwanzig Gänge ihres Fahrrads zu benutzen, war es nicht gerade ein Zuckerschlecken, dorthin zu radeln, so hügelig, den Winden ausgesetzt und eng wie die Strecke war. Aber es war die direkteste Route, und die Wälder waren nur ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
    Jetzt, da sie in einiger Entfernung vom Dorf wohnte, war sie auf den kostenlosen Inselbus angewiesen, wenn sie zum Wald fahren wollte. Ganz gleich, wie sie es anging, sie musste zwei verschiedene Busse nehmen und in der Eiseskälte warten, aber sie war fest entschlossen, dass nichts sie davon abhalten würde.
    An einem grauen Wintertag Ende Februar fuhr sie hinaus zum Wald, als das Wasser der Saratoga-Passage genau die trostlose Farbe des Himmels angenommen hatte. Sie musste ein Stück laufen, als sie aus dem Bus stieg, und marschierte den holprigen Straßenrand entlang, wo der Boden gefroren war und die Pfützen mit einer silbrigen Haut aus Eis überzogen waren. Kurz darauf erreichte sie den Wald, der düster über eine Wiese ragte, wo totes, vom Wetter gebeuteltes Laub herumlag und man zwischen den dichten Nadelbäumen Wanderwege ausmachen konnte, die in den schattigen Wald führten.
    Sie lief zur südwestlichsten Seite der Wiese. Dort führte ein Pfad steil zwischen die Bäume hinauf. Der Boden war rutschig, und sie nahm sich in Acht. Wenn sie jetzt hier stürzte, wäre es ganz anders als an dem Tag, als Derric im Herbst auf diesem Weg gestürzt war. Damals hatte sie ihn gefunden, als sie Seths Hund hinterhergerannt war. Heute wäre niemand da, der sie finden könnte, wenn sie den Steilhang hinunterfiel.
    Am höchsten Punkt des Wegs erreichte sie die Stelle, wo Derric gestürzt war und sich das Bein ganz schlimm gebrochen hatte. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf. Sie war nicht auf einer Wallfahrt zu dem Ort, an dem er in ein langes Koma gefallen war. Ihre Mission war eine andere, und ihr Ziel war direkt gegenüber, einen engen, undeutlich zu erkennenden Pfad hinauf, den Derric selbst durch die Bäume freigelegt hatte.
    Es war ein Pfad, den man leicht übersehen konnte, wenn man nicht wusste, dass er da war. Er führte einen Hang hinauf, wo ein paar heruntergefallene Äste und der Stamm einer uralten Hemlocktanne ein niedriges Tipi bildeten. Es sah hinfällig aus, war aber eigentlich recht robust, da es im Laufe der Zeit durch Wind und Wetter entstanden war. Becca atmete tief durch, stützte sich an einem Erlenstamm ab und begann den Marsch bergauf.
    Als sie das Tipi erreichte, kroch sie hinein. Sie kämpfte sich zum anderen Ende durch. Dort fand sie, sorgfältig in mehrere alte Plastiktüten gewickelt und noch sorgfältiger versteckt, das Paket an derselben Stelle, wo sie es das erste Mal entdeckt hatte. Es war dort seit Ewigkeiten versteckt. Von seinem Gips behindert, hatte Derric es seit Oktober nicht mehr angerührt.
    Jetzt würde er es anrühren, dachte Becca, als sie es einsteckte. Wenn er es in die Hände nahm, würde er den Unterschied erkennen zwischen dem Derric Mathieson, der er wirklich war, und dem

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