Wetterleuchten
Darrow einen Fuß auf die erste Sprosse der Baumhausleiter. Doch er zögerte. Becca konzentrierte sich, um sein Flüstern zu verstehen. Aber das Einzige, was sie hörte war: verdammter Bursche ...bis jetzt hat er... Dann schien er es sich anders zu überlegen und nicht mehr ins Baumhaus hochsteigen zu wollen, um zu sehen, was der verdammte Bursche dort trieb. Stattdessen drehte er sich um und ging auf den Hauptweg zurück. Er würde sich von Becca wieder entfernen und nach Hause gehen.
Fürs Erste war Becca also sicher.
Aber das sollte nicht lange so bleiben. Nachdem Ralph Darrow weg war, wartete Becca fünf Minuten zitternd in der Kälte. Sie horchte, ob er zurückkam, doch alles, was sie hörte, war das Hämmern eines Helmspechts, der auf einem toten Holunderbaum saß. Schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und rannte auf die Lichtung, die beiden Tannen und das Baumhaus zu. Sie kletterte rasch die Leiter hoch und kroch über den Vorbau ins Baumhaus hinein. Dort kauerte sie sich hin und war erst einmal in Sicherheit. Das dachte sie zumindest.
Denn weniger als fünfzehn Minuten später hörte sie, wie jemand die Leiter hochkam. Dieser jemand bewegte sich zwar leise, doch sie lauschte angestrengt. Sie wusste, was los war. Er hatte nur ein Gewehr geholt.
Ganz klar, dachte sie. Er wusste ja nicht, wer hier hauste. Er wusste nur, dass er sich auf seinem Grund und Boden befand. Es konnte schließlich ein flüchtiger Verbrecher, ein Drogendealer, ein Schmuggler oder ein Terrorist sein. Und vielleicht war er sogar bewaffnet. Deshalb hatte er sich vorsichtshalber auch eine Waffe besorgt.
Die Falltür quietschte leise, als sie geöffnet wurde. Becca konnte sich gerade noch einen Aufschrei verkneifen, als sich die Schritte der Tür näherten. Sie sah, wie sich der Knopf drehte und die Tür langsam aufging. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde, an ihm vorbeizurennen, die Leiter hinunter- und wegzulaufen. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und wollte es versuchen. Sie holte tief Luft und ...
Es war Seth. Er hatte den Arm voller Holz. Sie hatte die Laterne nicht angezündet, deshalb war es stockdunkel in der Hütte und er konnte sie nicht sehen. Er schrie erschrocken auf, als sie sagte: »Mach kein Feuer.«
»Boah, hast du mich erschreckt!«
»Dein Großvater war hier«, klärte sie ihn auf.
»Hier? Wo? Im Baumhaus?«
»Unten. Er hat meine Fußabdrücke überall gesehen. Und deine auch. Er hat zwar die Leiter hochgeschaut, aber er ist nicht hinaufgeklettert.«
»Cool. Das heißt...«
»Das heißt, entweder ruft er gerade die Polizei oder er holt ein Gewehr.«
»Er hat kein Gewehr. Na ja, vielleicht schon, aber ich habe es noch nie gesehen.« Er ging zum Ofen und ließ das Holz auf den Boden fallen. Dann fing er an, Feuer zu machen.
»Nicht!«, rief sie.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Kein Problem. Ich werde mit ihm reden.«
»Reden? Worüber? Seth, das geht nicht.«
»Doch, ich muss. Wenn er unsere Fußabdrücke gesehen hat, weiß er, dass irgendwas im Busch ist. Und er wird mich fragen. Dann muss ich es ihm sowieso sagen.«
»Aber dann wird er mich hier rauswerfen. Dann will er wissen ... Seth, du kannst ihm nichts sagen.«
»Schon in Ordnung, Becca. Das wird kein Problem sein.Ich hätte es ihm schon längst sagen sollen.«
»Seth, nein! Dann fragt er ... Und ich kann es ihm nicht sagen ... Bitte. Ach, was soll’s. Dann muss ich halt hier weg.«
Sie fing an, ihre Sachen zusammen zu kramen und in den Seesack zu stopfen, den Seth ihr vor mehreren Monaten gegeben hatte. Er sagte: »Hey, was soll das werden?«
»Nach was sieht’s denn aus? Ich pack meine Sachen zusammen und hau ab.«
Da ging er zur Tür und sagte: »Auf keinen Fall. Wo willst du denn hin? Meine Güte, lass mich erst mal machen, bevor du hier Hals über Kopf rausstürzt, okay? Vertrau mir einfach.«
»Und wo willst du hin?«
»Ich werde ihm was erzählen. Er weiß, dass ich das Baumhaus benutze, also lasse ich ihn ...»
»Bist du auf Drogen oder was?«
»Hey ...«
»Im Ernst. Wenn du glaubst, dass dein Großvater zulässt, dass sich irgendein Mädchen auf der Flucht hier versteckt.«
»Oh Mann, du musst mich ja für ganz schön bescheuert halten. Das erzähl ich ihm natürlich nicht.«
»Was denn dann?«
»Dass wir uns immer hier treffen. Dass wir herkommen, um ... na ja, du weißt schon.«
»Was? Um miteinander zu schlafen? Du willst ihm sagen, dass wir hier oben Sex haben? Na toll. Das findet er bestimmt super.
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