Wetterleuchten
haben ihn nur mitgenommen, um mir einen Gefallen zu tun. Derric, gefällt dir dein Zimmer nicht?«
»Ich will ihn wiederhaben«, beharrte er stur. »Ich will diesen Sitzsack wiederhaben.«
Seine Mutter schwieg. In dieser Stille erkannte er, dass sie versuchte, die Gefühle hinter seinen Worten auszuloten. Sie fragte: »Worum geht’s hier eigentlich?
Derric suchte nach einer Erklärung, die zwar nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber ihr nahekam. Er sagte: »Er hat eine Geschichte, Mom. Und durch mich hat er noch mehr Geschichte bekommen. Das bedeutet mir etwas, weil in Kampala ... Du weißt doch, wie es war ... Ich hatte nur meine Kleider, sonst nichts.«
Bei diesen Worten führte Rhonda die Hand zum Hals. »Oh, Derric«, entfuhr es ihr. »Ich hätte dich erst fragen sollen. Ich hab nicht richtig nachgedacht. Ich dachte nur, dass dich das neu eingerichtete Zimmer aufheitern könnte nach ... na ja, nach Courtney und all dem. Es tut mir so leid, Schatz. Ich rufe den Verein sofort an.«
Er hatte sie angelogen und fühlte sich miserabel. Aber das konnte er jetzt nicht ändern. Er hatte keine Alternative dazu gesehen. Denn wenn der Sitzsack nicht mehr da war, hatte er seine einzige Verbindung zu seiner Schwester verloren.
Es dauerte nicht lange, um das Schlimmste herauszufinden. Der Sitzsack war Geschichte. Im Sortierzentrum des Wohltätigkeitsvereins hatten sie einen Blick darauf geworfen und ihn in den nächsten Müllcontainer geworfen. Um drei Uhr fünfzehn hatte man den Müllcontainer abgeholt und in einen Müllwagen geleert. Wer weiß, wo er danach gelandet war, außer unter fünf oder sechs Tonnen Abfall und Schutt auf irgendeiner Mülldeponie.
Beim Abendessen entschuldigte sich seine Mutter immer wieder. Derric fühlte sich innerlich leer und konnte die Entschuldigung nicht annehmen. Er konnte ihr auch nicht sagen, was sie genau getan hatte. Mit den Briefen an seine Schwester war gleichzeitig das Zeugnis seiner Kindheit in der fremden amerikanischen Kultur verlorengegangen. Es schien ihm, als habe er Freude für immer verloren.
Seiner Mom war klar, dass er aufgebracht war. Sie wusste nur nicht, wie sehr, und sie wusste nicht, warum. Sie konnte ihm nicht anmerken, dass in ihm eine solche Wut tobte, dass er am liebsten eins von den Gewehren seines Vaters genommen hätte, die Goss Lake Road auf und ab gegangen wäre und die Fenster aller Nachbarhäuser eingeschossen hätte, nur um das Gefühl zu haben, etwas zu unternehmen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als das dankbare Waisenkind zu bleiben, das man aus Afrika gerettet hatte, weshalb er so früh wie möglich den Abendbrottisch verließ und sich in sein Zimmer einschloss, um nachzudenken.
Um neun nahm er das dünne Telefonbuch von Whidbey Island, schlug es auf und fing an zu suchen. Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Er musste irgendetwas tun, weil er sonst explodieren würde.
Er rief zwei Nummern an. Die erste verwies ihn auf die zweite: Seth Darrows Vater gab ihm die Handynummer seines Sohnes. Derric wählte die Nummer, und als Seth mit den Worten: »Bin ganz Ohr« ranging, fragte er nach Becca.
»Ich dachte, du weißt sicher, wo sie ist«, sagte er. »Ich muss mit ihr sprechen.« Derric versuchte, seine Bitterkeit darüber zu verbergen,dass Seth jederzeit wusste, wo Becca war, während man ihn im Ungewissen gelassen hatte. »Es ist zu deinem eigenen Schutz, es ist nur zu deinem Besten«, hatte sie ständig wiederholt. Klar, Becca, wie alles andere auch.
Seth legte eine Hand auf sein Handy. Einen Moment später war Beccas Stimme am anderen Ende zu hören. Sie sagte: »Derric?« Sie klang verwirrt und ein bisschen überrascht. Geschenkt, dachte er.
»Ich wollte dich nur auf den neuesten Stand bringen«, teilte er ihr mit.
Sie schwieg einen Moment und überlegte wohl, was er meinte. Dann sagte sie: »Ist irgendwas mit EmilyJoy Hall?«
Oh Mann, sie dachte doch tatsächlich, dass er wegen des Geschichtsreferats anrief! Wie bescheuert war die Frau eigentlich? Dachte sie wirklich, das wäre ihm wichtig?
Er sagte: »Ich rede von deiner Angewohnheit, Leute zu etwas zu drängen, wenn du für dich beschlossen hast, was das Beste für sie ist.«
Mit gesenkter Stimme fragte sie: »Was ist passiert?«
»Die Briefe sind weg. Das ist passiert. Sie waren versteckt...«
»Im Wald?«
»Nein, nicht im Wald. Sie waren in meinem Zimmer, und jetzt sind sie weg, und ich dachte, du würdest gerne Bescheid wissen.«
»Oh mein Gott. Hat sie jemand
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