Wetterleuchten
AUD-Box nicht, um das Flüstern anderer Leute auszublenden.
Chad führte sie an den Pfählen des Piers entlang, an denen Seesterne hafteten und Seepocken sich zusammenklumpten. Er ging weiter, bis sie etwa in drei Metern Tiefe waren. Für Becca war es eine Welt voller Magie.
Die Dinge veränderten sich jedoch schnell. Sie spürten ein Wirbeln, das an ihnen vorbeizog, wie eine starke Strömung, mit der keiner von ihnen gerechnet hatte. Becca drehte sich um und sah, wie sich eine pechschwarze Robbe mit hoher Geschwindigkeit näherte. Das Tier steuerte geradewegs auf Jenn zu.
Jenn strampelte blitzschnell an die Wasseroberfläche. Chad Pederson folgte ihr ebenso schnell. Becca drehte sich hierhin und dorthin, um zu sehen, wohin die Robbe geschwommen war, konnte sie aber nirgends entdecken, bis das Wasser erneut aufwirbelte und die Robbe auf einmal da war. Sie schwamm um Becca herum. Einmal, zweimal, dreimal. Dann schoss sie hinaus ins offene Wasser der Saratoga-Passage. Davor sah sie Becca jedoch direkt ins Gesicht. Es war, als würde Becca ein elektrischer Schlag treffen, der von der Robbe ausging.
Becca tauchte auf. Über Wasser erwartete sie eine ziemlich chaotische Szene. Chad brüllte Jenn an, Jenn brüllte Chad an, Annie Taylor brüllte sie beide vom Kai aus an.
»... verrückt? Es war nur eine Robbe!«, regte sich Chad auf.
»Schon gut! Schon gut! Ich hab die Nerven verloren! Sie ist wie aus dem Nichts aufgetaucht«, gab Jenn zurück.
»Jenn, war es Nera? Ist Nera hier?«, wollte Annie wissen.
»Hey, danke, Annie«, erwiderte Jenn höhnisch. »Mir geht’s prima. Alles in Butter.«
Das Flüstern aller prasselte auf die Luft ein wie ihre Worte. Sie interessiert sich nur für ... muss sie in die Finger kriegen ... genau so ... das war's für mich... nur fünf Minuten ... hätte nie anfangen sollen ... Wie ein Tennismatch, dachte Becca, mit drei Spielern, die sich gleichzeitig gegenseitig mit Bällen beschossen.
Chad erklärte: »Hör mal zu, du kannst das nicht machen, okay? Und ich werde dir auf keinen Fall einen Tauchschein ausstellen, wenn du mir nicht beweisen kannst, dass du nicht in Panik gerätst, sobald sich ein Tier zeigt.«
»Ist mir doch egal«, schrie Jenn und schwamm zum Ufer. »Dir ist es doch auch egal. Interessiert das überhaupt irgendjemanden?«
»Komm schon, Jenn. Sei nicht so«, versuchte Annie, sie zu beschwichtigen.
»Das alles ist bescheuert. Du bist bescheuert. Er ist bescheuert. Die Robbe ist bescheuert.«
Nie im Leben, nie im Leben ... sagte ihr Flüstern. Dem fügte sie hinzu: »Wenn du eine Tauchpartnerin willst, Annie, dann frag Fettarsch.«
»Was? Wer soll das denn sein?«, fragte Chad.
»Ich«, erwiderte Becca. »Sie redet von mir.«
Daraufhin schwiegen alle und gingen zurück ans Ufer. Jenn verschwand direkt in der Umkleide und den Duschen. Becca blieb, wo sie war. Sie nahm sich Zeit, ihre Sauerstoff-Flasche und die restliche Ausrüstung abzunehmen. Sie hatte es nicht eilig, Jenn in der Umkleide zu begegnen, ging stattdessen zu einem Wasserhahn und spülte ihre Flossen, ihre Kopfhaube und ihre Handschuhe ab. Deshalb konnte sie die Unterhaltung zwischen Annie Taylor und Chad Pederson belauschen, als die Meeresbiologin vom Kai herunterkam.
»Ich muss nahe genug herankommen, um ein besseres Foto zu schießen«, sagte Annie. »Wenn ich den Sender identifizieren kann, weiß ich sofort viel mehr. Und ich brauche eine Probe. Haut ist in Ordnung, aber Blut ist viel besser.«
Da war Becca klar, dass sie eine Diskussion aufgeschnappt hatte, die die beiden schon seit Längerem führten. Die Erwähnung des Senders verriet ihr, dass Annie von der Robbe sprach. Bei Haut und Blut wurde sie hellhörig.
»Sie werden nahe genug herankommen«, erwiderte Chad. »Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Wir werden aufblasbare Fender und das Netz benutzen.«
»Ich will sie nicht verletzen. Die Robbenbeobachter würden mich am höchsten Baum aufhängen. Ganz zu schweigen von den Langleyern, oder wie auch immer sie sich selbst bezeichnen.«
»Sie wird nicht verletzt werden. Wir halten sie nur fest. Und wie lange wird es dauern? Zehn Minuten? Fünfzehn?«
»Das hängt davon ab, wie hungrig sie ist. Und ob ihr der Köder schmeckt.«
»Oh, er wird ihr schmecken«, versicherte er ihr.
Becca fuhr direkt zu Heart's Desire. Sie musste an dem Tag nicht dort arbeiten, aber das war egal. Sie musste Ivar darüber informieren, was Annie Taylor und Chad Pederson mit der Robbe vorhatten.
Zuerst
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