Whisper (German Edition)
versuchen, sich keine Gedanken über die Scheißkälte zu machen.
Jasmin kletterte hingegen weiter und ließ den Lichtstrahl immer wieder über die Äste gleiten. Wer immer gesprochen hatte, sie wollte wissen wer. Das Holz war nass und glitschig. Ihre Knochen steif gefroren, ihre Finger kalt. Ständig rutschte sie ab, konnte sich kaum halten, zudem fehlte ihr ohnehin die Kraft, wirklich gut zuzugreifen. Doch der Wille trieb sie weiter. Wieder überkletterte sie einen dicken Ast, als der Lichtkegel Stoff erfasste. Jasmin hielt inne, suchte das, was sie gerade gestreift hatte, fand es und ließ den Strahl der Taschenlampe direkt drauffallen. Vor ihr lag ein lebloser, menschlicher Körper und der Anblick ließ einen heißen Schauer über ihren Rücken gleiten. Nervös kletterte sie auf die Gestalt zu, die vollkommen reglos in den Ästen lag. Eine Hand, die sich in den Zweigen verfangen hatte, ragte ihr entgegen. Das Mädchen glaubte schon, einen Toten vor sich zu haben und hatte im ersten Moment Probleme damit, die Hand anzufassen, doch dann bemerkte sie eine kaum wahrnehmbare Bewegung der Finger. Erst jetzt griff sie sanft zu, kletterte noch dichter heran, um an den Kopf zu kommen. Vorsichtig setzte sie ihren Fuß auf einer Astgabel auf und rutschte prompt aus. Mit ihrer leeren Hand griff sie nach einem anderen Ast, stützte sich ab und spürte schon den Schmerz, der bis in ihre Schulter jagte.
„Autsch“, maulte sie zu sich selbst. „Verflixt.“
„Jasmin, bist du das?“
Das Mädchen vergaß jeden Schmerz, der durch ihren Arm geflossen war, horchte auf, ließ hastig den Schein der Taschenlampe durch das Geäst streifen und suchte den Körper zu der Stimme.
„Hier unten, Jasmin. Hier am Boden.“
Sie leuchtete nach unten, suchte fieberhaft und entdeckte ein Gesicht. Ein nasses, schmutziges Gesicht, aber es lebte.
„Kino“, rief sie aus und wusste im ersten Moment nicht, wem sie zuerst helfen sollte. Dem Körper neben ihr, der eine Armlänge von ihr entfernt in den Bäumen hing, oder Kino, der ihr aus dem Dreck da unten entgegen starrte.
„Ich bin eingeklemmt, Jasmin. Stefan hat sich den Kopf gestoßen. Er ist schon seit einiger Zeit bewusstlos. Ich kann mich hier nicht befreien. Mir ist kalt und mein Bein tut weh. Wir brauchen dringend Hilfe. Sonst erfrieren wir.“
Jasmin kletterte weiter, suchte nach dem Kopf des Körpers neben ihr. Es war wirklich Stefan, der sich jetzt sanft bewegte und einen Arm hob. Jasmin wischte ihm mit ihrer Hand das Wasser und den Dreck aus dem Gesicht und tätschelte seine Wange.
„Stefan“, sprach sie ihn an, „verdammt, Stefan.“ Mit der Taschenlampe leuchtete sie ihn direkt an, ohne daran zu denken, dass ihn das blenden musste, sollte er die Augen aufmachen. Sie erschrak, als sie plötzlich seine Hand spürte, welche die Lampe beiseiteschob. Der Kopf bewegte sich, die Hand glitt an seine Stirn.
„Oh, Mannomann“, hörte sie ihn sagen und wusste im selben Augenblick, dass er weder gröber verwundet, geschweige denn tot war.
„Stefan“, rief sie nochmal aus, fasste nach ihm, um sich zu vergewissern, dass er wirklich lebte und nicht wieder in den totenähnlichen Zustand fallen würde. Aber Stefan bewegte sich weiter, griff sanft nach ihren Fingern.
„Das ist nicht witzig!“, quetschte er zwischen den Zähnen hervor und wischte sich mit zitternder Hand über das Gesicht. „Ist mir kalt.“
Jasmin beobachtete kurz sein Gesicht, erkannte Augen, die sich geöffnet hatten, und richtete in ihrer Hektik den Schein der Lampe wieder nach unten.
„Ich komme runter“, rief sie Kino zu und begann in derselben Sekunde durch die Äste hindurch zu ihm hinunterzugleiten. Es war nicht weit, nur beschwerlich, da ihr immer wieder die kleinen Zweige ins Gesicht klatschten und ihr den Weg versperrten. Gekonnt und geschickt schob sie sich durch die Äste hindurch und glitt neben Kino in den Matsch.
„Kino, was um alles in der Welt ist hier passiert?“
Sie leuchtete ihn ab und richtete dann den Strahl gegen den Baumstamm, der sein Bein festhielt.
„Ist, glaube ich, eine längere Geschichte und ich glaube nicht, dass ich Lust habe, sie dir jetzt zu erzählen. Was machst du eigentlich hier? Du solltest bei meinem Großvater sein, in Sicherheit, im Warmen. Was zum Henker tust du hier im Wald?“ Jasmin sah ihn kurz an.
„Ist auch eine längere Geschichte“, erklärte sie und leuchtete die nähere Umgebung des Stammes ab. Es musste doch eine Möglichkeit geben, den Baum
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