Whisper (German Edition)
Geist einfach schuldig!“
„Dem Großen Geist?“ Patrick musste lachen. „Was für ein Großer Geist? Fängst du jetzt wieder an zu fantasieren? Du bist niemandem etwas schuldig. Sei froh, dass du noch lebst.“
Ehe sich Patrick versah, war Jasmin auf den Rücken Mysterys geklettert.
„Das Leben besteht aus Geben und aus Nehmen. Das lernt man uns im Kindergarten, in der Schule, später in der Arbeit, in unserer ach so tollen Gesellschaft. Aber niemand lehrt uns, es auch zu handhaben. Great Spirit ist jener Geist, der unter anderem auch über dieses Land und dessen Lebewesen wacht. Er hat mir die Raben geschickt, die mich leiten, er hat mir den Grizzly geschickt, der mich schützt. Wie es Kinos Großvater schon sagte. Die Raben werden mich leiten, der Grizzly schützen. Und ich denke, dass er auch verantwortlich dafür ist, dass Whispers Seele immer noch bei mir ist, in Form dieses wunderbaren Pferdes hier. Ich habe das alles bekommen, nun bin ich an der Reihe etwas zu geben. Ich will die Wilderer aufhalten und dafür sorgen, dass man sie hinter Schloss und Riegel sperrt, damit die Tiere dieses wunderbaren Reichs wieder in Ruhe leben können.“
Patrick sah sie an. Es musste Geschwätz und Schwachsinn sein, was Jasmin da von sich gab. Das war sein erstes Gefühl. Kompletter Blödsinn, irgendein eingeweichter Quatsch, den sie schon die ganze Zeit so von sich gab. Aber als er ihr einen weiteren Blick zuwarf, erkannte er, dass sie es absolut ernst meinte, ohne Wenn und Aber.
„Du glaubst wirklich an das, was du da sagst, was?“, fragte er unsicher und kannte schon im Vorfeld die Antwort.
Mystery drehte sich um.
„Du wirst es irgendwann verstehen. Bleib auf der Straße. Ich bin mir sicher, es wird jemand kommen und dich holen. Denk an Tom. Er steht immer noch im Wald und wartet. Ich werde mich melden, ganz bestimmt.“
Patrick holte nochmal Luft, um etwas zu sagen, doch Mystery fiel in leichten Galopp und verschwand so schnell im Wald, dass er keine Gelegenheit mehr hatte, seine Bedenken anzubringen. Der Junge zuckte nur hilflos mit den Schultern, sandte ein Aufseufzen Richtung Himmel und versuchte seine verzweifelte Planlosigkeit irgendwie hinter Zorn und Ärger zu verbergen. Worte wie, verrückte Henne, Weiber, Tussi, Zicke, Sturschädel und Rindvieh gingen ihm durch den Kopf. Aber es half alles nichts. Jasmin verschwand im Wald, und er blieb allein zurück. Zornig trat er gegen einen Stein, der direkt vor seinen Zehen lag. Der Stein flog zwar in hohem Bogen ins Gestrüpp, ließ aber den Zorn Patricks verschwinden, da er sich die Zehe blau geschlagen hatte. Es war ihm nach Lachen und Weinen gleichzeitig zumute und er überlegte schnell, welchem Gefühl er den Vortritt geben sollte, entschied sich für ein Mittelding.
„Blöder Stein!“ maulte er mit Tränen in den Augen und wandte sich humpelnd Richtung Straße. Was blieb ihm auch anderes übrig, als zu warten. Jasmin war verschwunden, er allein. Wie leicht war es doch, den PC abzuschalten, wenn er keine Lust mehr gehabt hatte. Die Motivation war ihm im Moment mehr als vergangen, aber diesmal gab es kein „Herunterfahren“.
Nochmals warf er einen Blick auf die Kennzeichenziffern vor ihm auf der Erde. Jetzt hatte er die Zeit sie sich einzuprägen. Nach einigen Sekunden verwischte er die Malerei und sagte sie sich mehrmals vor. Zahlen und Buchstaben, eigentlich kein großes Problem.
Schließlich blickte er zu der Stelle zurück, wo er Jasmin das letzte Mal gesehen hatte. Nichts, sie war weg. Knurrend schritt er durch das Gestrüpp. Wie war das? Er hatte sich Sorgen gemacht, er hätte sie mit bloßen Fäusten verteidigt, er – er – er hatte Herzklopfen verspürt, als sie sich an ihn geklammert und geweint hatte. Und jetzt … zum Uhu, sie wechselte ihre Stimmungen, wie andere die Unterhosen. Zuerst fühlte er sich als ihr Beschützer, und jetzt kam er sich vor wie ein stehengelassener Trottel. Jasmin war nicht nur undurchschaubar, sie war ein Rätsel.
Unbeholfen stolperte er auf die Straße und blickte die Auffahrt hinunter. Es rührte sich nichts. Kein Motorengeräusch, kein Hufgeklapper und Meister Petz hatte sich hoffentlich verzogen.
Kurz dachte Patrick darüber nach, die Straße entlangzulaufen, doch dann erinnerte er sich an Tom. Er hatte den schwarzen Wallach im Wald zurückgelassen. Vermutlich wartete das Tier noch und hatte dabei sämtliche Jungbäume seiner Umgebung aufgefressen, und … ach ja, der Laptop! Der Laptop! Patrick stockte.
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