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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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wohl klar, dass sie die Nacht in seinem Armen verbracht hatte. Es hatte sich anschmiegsam, weich und auf eine unbeschreibliche Weise beruhigend angefühlt. Erfahrungen mit Jungs hatte sie nicht. Natürlich hatte man in der Schule über sie geredet, gekichert, gelacht und mit ihnen gestritten. Hatte sich einer mal für ein Mädchen interessiert, war er entweder verjagt oder anderweitig geärgert worden. Selten, dass zwei sich ein wenig näher gekommen waren. Aber dann war jener Tag gekommen, der alles verändert hatte. Niemand hatte sie mehr angeschaut, niemand mehr mit ihr gekichert, man war ihr aus dem Weg gegangen. Die Jungs schauten ihr nicht mehr nach, taten, als wäre sie nicht vorhanden. Jasmin hatte das nicht lange ertragen und angefangen, die Schule zu schwänzen. Es gab Geschrei, Theater und Strafpredigten, als die Sache aufflog, die Sitzungen bei Therapeuten und Psychologen wurden verstärkt. Man sprach von Verschlechterung ihres Zustandes, analysierte sie und ihr Verhalten, untermauerte mit Fachausdrücken, was ihr fehlte. Sie war verschwiegen geblieben, hörte sich die vielen Worte an, die ihr gesagt wurden, hatte aufgehört, darauf zu reagieren. Jede Reaktion brachte wieder eine neue Zustandsanalyse hervor. Man bezeichnete sie als psychisch angeschlagen, krank, verwirrt, wie auch immer. Worte gab es genug, und wenn nicht, erfand man eben neue. Hätte sie irgendjemanden von sich erzählt, von dem Pferd, das ihr erschien, von Whisper, die man ihr genommen hatte, von dem Martyrium, dass sie durchlebte, jedes Mal, wenn sie angestarrt wurde, man hätte sie für paranoid gehalten. Allein schon, wenn man von ihr verlangte zu zeichnen, damit man ihre Gefühle, ihr Innenleben besser behandeln konnte. So konnte Folter auch aussehen. Sie hatte gezeichnet, unter Zwang und Tränen, die verrücktesten Dinge, nur damit die Therapeuten glücklich waren. Sie klammerte sich mit ihren Gedanken an Whisper, einem Pferd, das es nicht mehr gab, aber das für sie immer noch existierte.
    Dann schickte man sie hierher. Sie erlebte an einem Tag genau zwei Seiten. Einmal jene, die sie kannte. Die Ablehnung, das angestarrt Werden, und die bösen Worte, die dieses Phänomen mit sich brachte, wenn man sie sah. Aber dann kam Kino. Nie hatte er gestarrt, sondern sie genommen, wie sie war, sie gelesen und auf Dinge angesprochen, die ihr durch den Kopf gingen. Er glaubte nicht nur an Whisper, Whisper hatte zu ihm gesprochen, wie sie zu ihr gesprochen hatte. Kino glaubte das, was ihr immer neue Therapeuten eingebracht hatte. Seine Art, wie er lebte, wie er mit den Lebewesen umging, deren Lebensraum er teilte, wie rücksichtsvoll er alles um sich betrachtete, und die Normalität, wie er ihr begegnete, war neu für sie. Er sprach nicht sofort von Psychose, wenn sie weinte, oder von Trauma, wenn sie angeblich falsch reagierte. Er gab ihr Trost, schützte sie und vermittelte ihr erstmals wieder das Gefühl, interessant zu sein. Und seit heute Nacht, nein eigentlich seit ihrem ersten klitzekleinen Kuss, der sich so erregend und prickelnd angefühlt hatte, wusste sie, was es hieß, gemocht zu werden, und verspürte auch erstmals die vielen Schmetterlinge im Bauch. Er hatte sie gehalten, sie sanft gestreichelt, wenn sie unter irgendeiner Berührung zusammenzuckte, sie … Jasmin atmete tief durch. War sie vielleicht ein wenig verliebt? Nannte man das so, wenn man im Bauch dieses komische Ziehen hatte, das Herz deutlich gegen die Rippen hämmerte und man ein Lächeln in sein Gesicht zauberte, wenn man an jenen gewissen Menschen dachte, den man glaubte zu lieben? Jasmin wusste es nicht, aber sie fühlte sich wohl bei dem Gedanken an ihn, und das reichte für sie im Moment.
    Als sie die Decke, die Kino in der Nacht von irgendwoher gezaubert hatte, von ihren Beinen schob und ihre Füße beäugte, erkannte sie, dass die Schwellungen tatsächlich zurückgegangen waren. Natürlich gab es nach wie vor offene Blasen und aufgeriebene Stellen, aber sie nässten nicht mehr, fühlten sich trocken und sauber an, und schmerzten auch bei Weitem nicht mehr so stark. Als Jasmin probierte aufzutreten, bemerkte sie nur ein leichtes Ziehen in beiden Füßen. Nach den ersten paar Schritten würde auch das vergehen. Kinos Großvater sollte recht behalten. Wenn sie in den nächsten Tagen in keine festen Schuhe schlüpfte, sondern sich weicheren Schuhwerks bediente, dann würden die Verletzungen heilen und alles war vergessen.
    Um zu testen, wie lange es dauern würde,

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