Whisper Island (01) - Sturmwarnung
aufzusuchen. Außer ihm, Jake und dem Sheriff war noch keiner unterwegs. Er riss seinen Blick von Becca los, als der Sheriff fragte: »Kannst du mir wenigstens sagen, wie sie aussieht?«
»Wie ein Mädchen halt«, erwiderte Seth. »Was weiß ich.«
»Seth. Wie sieht sie aus?«
Seth rief zu Jake hinter der Feinkost-Theke rüber. »Jake, du kennst doch Becca King. Wie sieht die aus?«
Jake sah von einer Fleischplatte auf und antwortete: »Ähm … dunkle, braune Haare, ein bisschen pummelig. Riesige Oberschenkel, Hintern wie ein Pferd. Ihre Brille sieht aus wie von 1952 , und ihre Klamotten sind das Letzte, aber ich würd’s mit ihr treiben.«
Seth sagte zu Dave Mathieson: »Ich nicht. Sie ist erst vierzehn.«
Jake grinste anzüglich und zwinkerte. »Je jünger, desto besser.« Dann sah er durchs Fenster und schnell wieder zu Seth. »Hey …«
Seth unterbrach ihn rasch. »Ich wette, der Sheriff möchte mit dir mal ein paar Worte über vierzehnjährige Mädchen wechseln.«
Jake zog den Kopf ein. »War doch nur ein Witz, Darrow.«
Vor dem Supermarkt hatte Becca den Sheriff gesehen und sich auf dem Absatz umgedreht. Sie lief rasch die Straße wieder zurück und Seth hoffte, dass sie eine Weile in Deckung bleiben würde. Der Sheriff würde nicht ewig im Star Store bleiben, sondern auch in der Stadt noch weiter nach ihr suchen.
Mathieson sagte: »Sehr lustig, ihr zwei. Ich mach mir in die Hose vor Lachen. Aber mein Junge liegt im Krankenhaus am Tropf und ist an einen Herzmonitor angeschlossen und sein Bein steckt in einem Streckverband. Und irgendjemand ist dafür verantwortlich. Also hör mir gut zu.« Er sah Seth durchdringend an. »Du findest Becca King und bringst sie zu mir, damit ich sie verhören kann. Verstanden?«
»Klar. Aber ich weiß ja nicht, wo sie ist.«
»Da habe ich aber was anderes gehört.«
»Sie war nur einmal hier, als sie Öl für ihre Fahrradkette brauchte. Und manchmal kauft sie ein Sandwich. Mehr weiß ich nicht, und Jake auch nicht.«
Der Sheriff sah Seth lange streng an. Dann nahm er die Hand von der Pistole und zeigte mit dem Finger auf ihn.
»Verarsch mich nicht. Wir können auch zurück nach Coupeville ins Gefängnis fahren und uns dort weiter unterhalten. Wie würde dir das gefallen, Seth?«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, antwortete Seth. »Ich habe in letzter Zeit Schlimmeres erlebt, als nach Coupeville zu fahren.«
Aber Seth war gar nicht zufrieden mit seinem Gespräch mit dem Sheriff, als er ein paar Stunden später im Star Store ausstempelte. Seine Arbeitszeit war verlängert worden. Nachdem er die Lebensmittel eingeräumt hatte, musste er an die Kasse, weil noch zwei weitere Mitarbeiter nicht aufgetaucht waren, wahrscheinlich, weil die Sonne schien und sie lieber am Strand surfen gehen wollten, als acht Stunden im Star Store herumzuhängen.
Die Kasse zu bedienen, war fast so schlimm wie sein schlimmster Albtraum: Er sitzt im Geschichtsunterricht und muss irrtümlicherweise einen Infinitesimalrechnungstest schreiben. Mrs Prince, eine Bekannte seines Großvaters, nahm es ihm zum Glück nicht allzu übel, dass er ihr für eine Zeitung, ein Sixpack Bier, ein Vollkornbrot, ein Glas Erdnussbutter und ein halbes Kilo grüne Bohnen aus Versehen zweitausendeinhundert Dollar berechnen wollte.
Aber nachdem Seth das kleine Problem beseitigt hatte, war er ziemlich gestresst, und der Rest des Morgens war eine einzige Quälerei.
Als er Feierabend hatte, stieg er in Sammy ein, legte den Kopf aufs Lenkrad und sagte zum Auto: »Kannst du nicht alleine nach Hause fahren? Ich kann nicht mehr!«
»Das geht aber nicht«, kommentierte Becca, während sie sich auf dem Rücksitz aufsetzte, wo sie sich unter einem alten Strandtuch versteckt hatte. »Du musst mich von hier wegbringen.«
Seth sprang zehn Zentimeter hoch in die Luft. »Verdammt noch mal!«
Becca warf das Handtuch ab. »Das Ding stinkt furchtbar.«
»Das gehört ja auch Gus. Was erwartest du? Dass es nach Rosen duftet?«
»Wäschst du es denn nie?«
»Wozu? Es wird doch sowieso sofort wieder schmutzig.« Er startete den Wagen und fuhr vom Parkplatz runter. Er bog in die Second Street ein und fuhr den Berg hoch, zum nördlichen Stadtrand. Dann fuhr er auf den Parkplatz des Waschsalons und blieb dort stehen. Becca kletterte auf den Beifahrersitz, und Seth fiel auf, dass Jakes Beschreibung nicht mehr zutraf. Sie trug zwar noch die komische Brille und hatte die hässlichen braunen Haare, aber sie war nicht mehr
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