Whisper Island (01) - Sturmwarnung
weitergereicht. Aber derjenige, der dieses Wissen entgegennimmt, muss das Talent und die Fertigkeiten haben, etwas daraus zu machen.«
Seth musterte das Baumhaus. Auch wenn es nur aus einem einzigen Raum bestand, wusste er, dass man darin wirklich wohnen konnte, weil Ralph beim Bauen auf Qualitätsarbeit bestanden hatte. Es war schnee- und wasserdicht, und wenn man den Ofen anschürte, war es innen schön warm.
Während sie gemeinsam das Baumhaus betrachteten, fragte Ralph: »Wo ist Sammy, Seth?«
Seth erwiderte, dass der VW auf dem Parkplatz der Saratoga Woods stand.
»Und Gus?«, fragte Ralph.
»Der ist bei Hayley.«
Ralph schaute weg. Er verzog die Lippen und strich sich über den Schnurrbart. »Hayley«, sagte er schließlich und seufzte. Dann murmelte er: »Es gibt ein Holz, das sich nicht glätten lässt, ganz gleich, wie sehr man sich anstrengt. Es geht einfach nicht, Seth.« Damit meinte er, dass Seth endlich loslassen musste, dass er Hayley und die ganze Sache loslassen musste, um sein Leben weiterleben zu können.
»Ich weiß«, erwiderte Seth, »aber ich schaff’s einfach nicht.«
»Und wie hat dich diese Einstellung bisher weitergebracht?«
»Überhaupt nicht«, räumte Seth ein.
»Warum gehst du da überhaupt hin?«, wollte Ralph wissen. »Warum gerade die Saratoga Woods?« Seth war klar, dass Ralph ihn das wegen Gus fragte. Er wollte wissen, warum Seth mit dem Labrador unbedingt in die Saratoga Woods gehen musste, obwohl dieser Wald so riesig und Gus noch nicht genügend abgerichtet war, um dort frei herumzulaufen.
»Es war keine besonders gute Idee«, antwortete Seth missmutig. »Es war falsch von mir.«
»Das kannst du laut sagen, und ich bin froh, dass du es einsiehst«, erklärte Ralph. »Also lass uns das in die Hand nehmen.«
K APITEL 14
Mit das meinte er, als Erstes Sammy zu holen. Ralph und Seth fuhren am Lone Lake vorbei, der wie eine Silbermünze im Mondschein schimmerte, und über der reglosen Wasseroberfläche wölbte sich ein Sternenzelt.
Aus dem Schweigen seines Großvaters schloss Seth, dass es schwer auf ihm lastete, dass sein Enkel sich die meiste Zeit wie ein Versager fühlte. Und er wusste, dass es noch schwerer auf ihm lastete, dass Seth noch nicht über Hayley Cartwright hinweggekommen war.
Sie erreichten die Saratoga Woods aus der entgegengesetzten Richtung, aus der Seth am Nachmittag gekommen war. Diese Strecke führte durch einen Nadelwald, der in der Dunkelheit pechschwarz erschien und hier und da von schmalen, mit Moos und Farnen überwachsenen Pfaden durchtrennt wurde.
In den Saratoga Woods parkte Ralph den Pick-up neben dem armen kleinen Sammy. Der VW sah zu dieser abendlichen Stunde traurig und verlassen aus. Seth dachte, sein Großvater würde ihn einfach absetzen und wieder nach Hause fahren, aber stattdessen stellte Ralph den Motor ab und stieg mit Seth aus.
Seth bedankte sich bei seinem Großvater: dafür, dass er seine Kaution gezahlt, ihm ein riesiges Sandwich gemacht und ihn zurück zum Wald gefahren hatte. Ralph nickte und räusperte sich dann. Da dämmerte es Seth, dass sein Großvater ihm etwas zu sagen hatte.
Und zwar: »Das ist keine gute Zeit für Gus, Junge.«
»Was?«, fragte Seth.
»Der Hund sollte eine Weile bei mir bleiben«, erklärte Ralph.
Das tat weh, und Seth war überrascht, wie sehr. Ralph hatte ihm den Hund geschenkt, und dass er ihm Gus mit acht kurzen Worten einfach so wieder wegnahm, war wie ein Fausthieb direkt unter sein Herz.
Ralph wusste das natürlich und fügte deshalb hinzu: »Es ist wegen der Sache mit dem Wald, Junge, das ist alles.«
»Und das heißt?«
»Du kannst einen Hund nicht erziehen und gleichzeitig sein Freund sein, Seth. Erst kommt die Erziehung und dann die Freundschaft. Du hast den Kopf einfach zu voll mit Dingen, um die du dich dringend kümmern musst. Einen Hund zu erziehen, gehört nicht dazu. Nimm dir ein paar Wochen Zeit und bring deinen Kram in Ordnung. Gus wird es gut bei mir haben.«
»Es ist wegen Hayley, stimmt’s?«, fragte Seth bitter. »Es passt dir nicht, dass ich ihn Hayley und nicht irgendjemand anders gegeben habe, als mich der Deputy mitgenommen hat.«
Ralph schüttelte den Kopf. Er wollte seinem Enkel gerade erklären, dass Hayley Cartwright nur Teil des Problems war, als plötzlich ein Telefon anfing zu klingeln. Er und Seth blickten einander an und sahen sich nach der Quelle des Geräuschs um. Gleichzeitig steuerten sie auf die überdachte Informationstafel zu.
Das Klingeln
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