White Horse
Söhne war.«
Ihre Mutter. Ich taste meinen Bauch ab. »Mein Baby â¦Â«
»Lebt. Es ist kräftig.«
Ich schlieÃe die Augen. Der Schmerz ist zu groÃ: Erleichterung, dass
Nicks Kind noch lebt, und Verzweiflung, dass er nicht hier bei mir ist.
»Wenigstens das bleibt mir.«
Aus den Schatten kommt sie, ihr Gesicht ein wirres Netz aus
Brandnarben. »Schlangen«, sagt sie, als mein Blick sich von ihrer rechten Seite
abwendet. »Ein Geschenk der Krankheit.«
Ich schaue sie und ihre Narben an und weià plötzlich, was sie getan
hat. »Du hast sie â mit Feuer vernichtet.«
Ein kurzes Nicken. »Ja. Verbrannt. Es war â¦Â«, sie hebt eine Hand an
ihr Gesicht und lässt sie wieder sinken, als wagte sie nicht, die Narben zu
berühren, »â¦Â sehr schmerzhaft.«
»Wie Medusa.«
Wieder ein Nicken. »Von allen Gestalten im Olymp hat mein Körper
ausgerechnet sie gewählt. Dabei bin ich ein Nichts, eine einfache Dienerin der
Götter.«
»Der Götter? Nicht des einen Gottes?«
»Ich finde mehr Trost bei denen, die den gleichen Weg gegangen sind
wie ich. Ihre FüÃe ⦠meine â¦Â« Zwei Finger ahmen in der Luft Schritte nach. Dann
wechselt sie das Thema. »Du weiÃt, dass jemand dir folgt.«
Einen Moment lang bin ich verwirrt. »Haben dir das die Götter
verraten?«
»Nein. Ich höre hin. Jetzt ist Zeit zum Ausruhen.«
Ich schlieÃe die Augen, finde aber keinen Schlaf.
Monster. Dieses eine Wort ist wie ein
bösartiger Tumor, der sich in meinem Gehirn festsetzt. Er schlingt seine
Ausläufer um meine rationalen Gedanken und presst sie zusammen, bis jede
Vernunft und Logik entweicht.
Monster.
Meinem Kind geht es gut. Mein Kind ist â ein
Monster â gesund.
Meine Retterin findet mich auf der niedrigen Mauer vor dem Museum.
Ihre Blicke sind zu Boden gerichtet, sodass ihr Haar nach vorne fällt und die
Narben hinter einem schwarzen, von Silberfäden durchzogenen Wasserfall
verbirgt. Sie muss ungefähr fünfzig sein und damit um einiges älter, als ich zunächst
dachte. Erst als sie neben mir sitzt, hebt sie den Kopf.
»Bist du ⦠krank?«
Die Worte der Schlangenfrau ziehen an dem elastischen Band, das
diese Gedanken zusammenhält, aber es reiÃt nicht. Das Bündel an Zweifeln
bleibt.
Ich schüttle den Kopf. »Letzte Nacht sagtest du, dass mir jemand
folgte. Hast du gesehen, wer das war?«
»Nein. Nur gehört.«
»Was genau hast du gehört?«
Es dauert einen Moment, bis sie übersetzt, ihre Antwort formuliert
und wieder übersetzt hat. »Schuhe. Wer?«
»Ich weià nicht. Ein Geist vielleicht.«
Sie wendet sich mir zu und sieht mich fragend an. Das Tageslicht ist
grausam und unerbittlich: Hier drauÃen sind die Narben knotige, rot entzündete
Wulste.
»Ein toter Mann.« Ich ziehe mit der Handkante eine Linie über meine
Kehle und wedle mit den Fingern in der Luft. »Geist.«
Diesmal nickt sie. »Die Toten, sie bleiben bei uns. Aber ich habe
nicht deinen Geist gehört. Meinen vielleicht, hm?«
Früher reisten die Menschen in Scharen hierher, um die Sonne zu
genieÃen und die herrliche Aussicht zu erleben. Ein Kopfsteinpflasterweg führt
von den Stufen des Museums bis zu den berühmten Ruinen, hier und da
unterbrochen von jungen Lorbeerbäumen. Das Museum ist ein geometrischer Hügel,
der sich nahtlos in die Felsenlandschaft einfügt. Hier waren geschickte Planer
am Werk, die das Neue dem Jahrhundertealten in Farben und Form sorgfältig
anpassten. Ich kann von diesem Blickwinkel aus nicht erkennen, was vom antiken
Delphi noch übrig ist, aber ich spüre eine leise Energie, die in den Bäumen
summt. Hier sind Echos, die Geister der Verstorbenen, die auf diesen Pfaden
wandeln, als sei der Tod nur ein lästiger Trittstein auf ihrem Weg zurück in
das Hier und Jetzt gewesen.
Ich bin nicht überzeugt von der Geisterthese, und sie ist es ebenso
wenig, wenn ich ihr Verhalten richtig deute: Sie fährt sich mit einer Hand über
das Gesicht und fängt an, das Narbengewebe zu kratzen.
»Tut das weh?«
Die unversehrte Seite ihres Gesichts lächelt. Dann zuckt sie mit den
Schultern. »Hm, ein wenig.«
Mein Hass auf Pope schlägt hohe Flammen, ehe er zu dumpfer
Verachtung herabsinkt. Was hat dieser Mann der Welt angetan, um sich seine
selbstsüchtigen Wünsche zu
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