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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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beten.«
    Â»Danke.« Mein Glaube ist kaputt, aber der ihre nicht. Vielleicht
reicht das ja.
    Wir gehen weiter. Unsere Schritte verursachen merkwürdige Geräusche
auf dem Asphalt. Meine schweren Stiefel. Irinis leichte Espadrilles. Esmeraldas
Hufgetrappel. Der Schrein kommt langsam näher. Seine verschwommenen Ränder
werden scharf und klar. Jemand hat sorgsam ausgewählte Steine aufgeschichtet,
in Mörtel gepresst und weiß gekalkt. Die bogenförmige Nische des Monuments
enthält ein mit viel Gold verziertes Porträt der Jungfrau Maria, die uns milde
entgegenlächelt, als wüsste sie, dass uns das Schicksal gnädig sein werde. Ich
wollte, ich könnte ihren Optimismus teilen. Ich wollte, ich würde sie nicht für
einfältig halten. Über ihrem Haupt mit dem Heiligenschein baumelt ein Messingglöckchen,
und noch höher, in der Kuppel des Schreins, verkündet ein weißes Kreuz dem
Wanderer, dass die alten Götter Griechenlands nicht tot, sondern nur in die
Hinterbänke gedrängt sind, zumindest um den Schein zu wahren.
    Irini bekreuzigt sich und will die Glocke läuten, sie aus ihrem
Schlummer wecken, aber ich hebe abwehrend die Hand. Meine stumme Warnung kommt
mir selbst albern vor, weil wir hier auf freiem Gelände stehen, leicht
erkennbar für jeden, der zwei Augen und ein einigermaßen gutes Sehvermögen hat.
Aber wir wissen ja nicht, ob der Geist des Schweizers die einzige Gefahr ist,
die uns folgt. Das schwache Bimmeln des Schreinglöckchens könnte alle möglichen
Wesen anlocken, die in den Hügeln neben der landeinwärts führenden Fernstraße
hausen.
    Wir beten stumm, jede von uns in ihre eigenen Gedanken vertieft. Ich
bete für mein Baby, für Nick, für Irini, für Esmeralda, für alle, die ich
liebe, und für die Toten. Für Lisa. Für Morris. Für Jenny. Für meine Eltern.
Für Sam. Ich bete nicht für mich selbst. Als Irini mich nach dem Grund fragt,
während wir Kekse in Schokocreme tauchen und knabbern, entgegne ich, dass sich
das Universum ohnehin schon auf Kosten der Menschheit kaputtlacht und ich ihm
diese neue Versuchung ersparen möchte.
    Dann scheut Esmeralda mit einem Mal. Die Getreideflocken stieben
auseinander, als sie mit den Hufen auf ihrem Futter herumzustampfen beginnt.
Sie stößt einen Schmerzensschrei aus. Ich springe auf und versuche sie zu
beruhigen.
    Irini bückt sich und hebt etwas vom Boden auf. »Schau.«
    Sie hält mir auf der flachen Hand einen Stein entgegen, an dem
getrocknetes braunes Blut klebt. Ich hebe den Kopf, schirme meine Augen gegen
die Sonne ab und suche die umliegenden Hügel nach unserem Feind ab.
    Nichts.
    Meine Nerven liegen blank. Ich vergesse meinen eigenen guten Rat,
lege beide Hände wie einen Trichter vor den Mund und schreie: »Geh endlich zum
Teufel!«
    Gelächter bricht sich an den Felsen.

    Wir schlafen abwechselnd, so wie es Lisa und ich früher taten.
Aber anders als die arme Tote nimmt Irini ihre Pflicht sehr ernst. Tagsüber
marschieren wir, bis sich irgendwann die Landschaft verändert. Dicht belaubte
Bäume neigen sich über die Straße und schützen uns vor der prallen Sonne. In
den kühlen Schatten sinkt meine Hauttemperatur sofort. Ich seufze erleichtert.
Selbst Esmeralda wird wieder munter. Die Versuchung stichelt, drängt uns,
schneller zu gehen, aber der Schatten tut mir so gut, dass ich ewig in seiner
Kühle bleiben möchte.
    Kurz vor der nächsten Biegung kommen wir an einen Wegweiser, der
tief in die Erde gerammt ist. »Lamia«, liest Irini vor. »Die Hälfte.«
    Ich weiß von der Karte, was sie meint. Wir haben die Hälfte des
Weges geschafft. Die Hälfte des Weges zu Nick.
    Â»Warst du schon mal hier?«
    Â»Ja. Mit dem Bus. Es gibt da …« Sie macht Essbewegungen.
    Und tatsächlich stoßen wir weiter vorn auf eine Raststätte. Die
gesamte Front ist verglast, und davor stehen Picknicktische und Sonnenschirme,
die früher vermutlich in kräftigen Farben geleuchtet hatten. Jetzt, da sie bei
schlechtem Wetter niemand mehr in Sicherheit bringt, sind sie verschossen, und
ihre zerfetzten Bahnen flattern im Wind. Am Straßenrand parken verlassene
Ausflugsbusse. Sie warten auf Touristen, doch die Zeiten, in denen sich jemand
den Fahrpreis leisten konnte, sind vorbei. Ihre Sitze verheißen eine bequeme
Rast, und so folgen wir ihrer Einladung.
    Es gibt

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