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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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braunes Stroh auf dem
Boden verstreut. Geronnenes Blut. Alte Knochen, dem matten Schimmer nach zu
schließen, von Hühnern und anderen Haustieren. Bis zur letzten Faser abgenagt
und dann zersplittert, um das Mark auszusaugen. In den Ecken rosten Berge von
Dosen vor sich hin. Leere Plastikverpackungen bilden einen Teppich, der niemals
verrotten wird. An den Wänden hängen unbrauchbar gewordene Geräte. Keine Ernten
mehr unter dem prallen Herbstmond.
    Einer der Dörfler löst sich aus der Gruppe und robbt zu einem
Holzeimer, der zum Wasserschöpfen über dem Brunnenschacht hängt. Sein Kriechen
ist keine Büßerhaltung. Eine Reihe schroff gezackter Knochen, die wie ein Dornensaum
von seinem Rückgrat abstehen, scheinen ihm starke Schmerzen zu bereiten. Sie zittern
und schwanken, während er sich vorbeugt und trinkt. Als er fertig ist, lässt er
sich in die Hocke sinken. Wasser läuft ihm über das Kinn und tropft auf die mit
Essensresten verkleckerte Brust. Das zerfetzte Hemd hat sich mit Tierblut
vollgesogen, immer und immer wieder. Die anderen Gestalten kauern im Kreis und
starren wie gebannt nach oben. Mein Blick folgt dem Objekt ihrer Begierde,
gleitet das Gewirr von Querbalken entlang, bleibt an blonden Haaren und einem
Stück blauem Stoff hängen. Mir bleibt das Herz stehen.
    Lisa.
    Getrieben von Verzweiflung und Entsetzen, hat sie den Heuboden
erklommen. Ich weiß nicht, wie ihr das gelingen
konnte, doch das spielt jetzt keine Rolle. Sie scheint dort oben einigermaßen
sicher zu sein.
    Meine Schultern zucken. Ich will zu ihr. Ich muss zu ihr. Der Fremde
hält mich zurück, zerrt am Strick, bis Lisa aus meinem Blickfeld verschwindet.
Er dreht sich um und zwingt mich, mit ihm ins Dorf zurückzukehren.
    Ich packe die feuchten Umschläge seiner Jacke. »Du hast gesagt, sie
sei tot.«
    Â»Sie ist so gut wie tot. Sie wird es sein, wenn ich diesen Schuppen
in die Luft jage.«
    Â»Du hast uns verfolgt und die Kirche gesprengt, stimmt’s?«
    Ein Knurren ist seine einzige Antwort.
    Â»Das kannst du nicht tun. Nicht, solange sie da drinnen ist. Ich
werde das nicht zulassen.«
    Â»Dir bleibt keine Wahl.«
    ZEIT: DAMALS
    Der Krug ist schwerer, als er aussieht. Fast, als sei er
mit Sand gefüllt. Oder mit guten Vorsätzen. Schweigen ist sein einziger
Protest, als ich ihn, rückwärtsgehend, mitschleife und seine obere Hälfte gegen
den weichen Polsterhocker lehne.
    Etwas bewegt sich in seinem Bauch. Wie Wispern abgestreifter
Schlangenhäute, die aneinanderreiben. Ein Frösteln wandert meine Wirbelsäule
entlang.
    Meine Knie sinken in den beigefarbenen Flor des Teppichbodens ein,
als ich, dem Rat von Dr. Rose folgend, auf der Unterseite des Gefäßes nach
einem Hinweis suche. Nichts. Und davon eine ganze Menge. Glatt und eine Spur
kreidig. Die Standfläche hat eine feine Pulverschicht auf dem Teppich
hinterlassen. Unwillkürlich fahre ich mit der Fingerspitze über die billigen
Fasern. Das Pulver ist weich und seidig wie Speisestärke.
    Mein Ausatmen ist ein frustrierter Seufzer. Ich wollte etwas finden.
Und wenn es nur ein Made-in-China -Aufkleber gewesen
wäre.

    Diesmal wartet Dr. Rose nicht, bis ich das Wort ergreife. Wir
nehmen unsere jeweiligen Plätze und Rollen ein. Das denke ich zumindest, bis er
seinen Notizblock zur Seite legt. Instinktiv schlage ich die Beine übereinander,
verschränke die Hände und bedecke damit das obere Knie. Ein Muster an Schicklichkeit.
    Er saugt meine Abwehrhaltung mit seinem dunklen Blick ein und wischt
sie dann mit seiner Frage beiseite.
    Â»Willst du mich auch?«
    Â»Ja. Und nein.«
    Er lehnt sich zurück. Sein strahlendes Lächeln weckt in mir den
Wunsch, wir wären uns nicht hier begegnet, in dieser Praxis, die ein
Fragezeichen hinter meine psychische Verfassung setzt.
    Â»Das reicht mir – für den Augenblick.«
    Ein Schauer überläuft mich, denn für den Augenblick bedeutet, dass es ein Später geben wird. Dass er sich um mich bemühen wird.
Dass ich das Warten wert bin. Aber ein Teil von mir ist wütend, weil meine
Antwort eine halbe Ablehnung war und er mein Nein übergeht, als sei es völlig
unwichtig.
    Einen Moment lang sieht er mich durchdringend an, und ich fühle mich
nackt. Im Allgemeinen lege ich hier nur mein Inneres bloß, aber jetzt gebe ich
auch meinen Körper preis. Meine Brüste spannen sich an. Ich

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