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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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ihr fernhalten
soll – wie der Ersatz für eine Kuscheldecke, die sich kleine Kinder aus Angst
vor dem Schwarzen Mann über den Kopf ziehen.
    Als ich mich ein wenig nach links bewege, um das Innere der Scheune
besser überblicken zu können, hebt Lisa mit einem Ruck den Kopf, als habe sie
mich bemerkt. Aber das kann nicht sein. Ihre Augen sind glanzlos und ohne
Leben. Sie hat aufgegeben. Wahrscheinlich denkt sie, ich sei tot, oder so gut
wie tot.
    Bitte, mach, dass sie sich nicht bewegt! So lange die Monster
schlafen, habe ich vielleicht die Möglichkeit, sie zu retten.
    Der Rucksack gleitet von meinen Schultern. Ich entferne mich ein
paar Dutzend Schritte von der Feldscheune und lehne ihn an die Wurzeln eines
Baumes. Das Schälmesser steckt bereits in meiner Tasche. Gleich darauf schwinge
ich auch das Fleischermesser. Es liegt gut in der Hand.
    Hoffentlich muss ich es nicht benutzen! Ein
wirksamer Zauber wäre jetzt nützlicher als ein Stoßgebet.
    Die Scheune hat ein Doppeltor. Ein verrostetes Vorhängeschloss
baumelt wie ein gebrochener Arm von einem ähnlich gammeligen Riegel. Es ist ein
gedrungener Bau mit einem der typischen roten Ziegeldächer, die sich wie Masern
über die italienische Landschaft verteilen. Drei Fenster. Eines an jeder der
türlosen Wände. Selbst wenn sie sich öffnen ließen, wären sie nicht groß genug
zum Einsteigen. Bleibt also nur das Tor mit seinen uralten Angeln, die so aussehen,
als würden sie bereits bei der ersten Berührung schrill quietschen.
    Ich bete, dass Lisa durchhält.
    Zurück im Haus, stöbert der Schweizer in einer Metallkiste. Er
schlägt den Deckel zu, als ich schweigend an ihm vorbeigehe und zielstrebig die
winzige Kochnische ansteuere.
    Â»Gescheitert?«
    Â»Nein.«
    Â»Was suchst du?«
    Â»Nichts.« Ich zerre einen Kanister Olivenöl aus seinem Versteck
unter der schmalen Theke. Es gibt hier keine Unterschränke, nur Vorhänge, die
Töpfe, Pfannen und Backzutaten vor neugierigen Blicken schützen.
    Â»Olivenöl?«
    Â»Damit ist jede italienische Küche ausgestattet.«
    Â»Du kannst sie nicht retten«, sagt er von weiter hinten.
»Wahrscheinlich haben sie die übrigen Dorfbewohner gefressen. Sie werden mit
deiner dämlichen Freundin kurzen Prozess machen.«

    Nicht nur Schulnoten verlaufen in Kurven, auf und ab. Das
Gleiche gilt für den menschlichen Charakter. Heilige an einem Ende, Sünder am
anderen – mal vom biblischen Standpunkt aus betrachtet. Es lässt sich nicht
vorhersehen, welchen Platz diese posthumanen Geschöpfe einnehmen werden, wie
viel Mensch den Fressinstinkt steuert.
    Ich kann diese genetische Lotterie nicht mit Lisas Leben spielen.
Ich bin auf meine eigenen guten Vorsätze angewiesen.
    Ã–l tropft über die Scharniere, sickert zwischen die Metallschlitze.
Ich bete zu einem Gott, an den ich nicht wirklich glaube, nur damit ich mich
nicht so einsam fühle, aber er antwortet nicht. Minuten verstreichen. Ich warte
so lange, bis ich unruhig werde; ich habe keine Ahnung, wie lange diese
abscheulichen Gestalten schlafen. Womöglich sind sie wie die Hunde, die ihr
Gehör nie ganz abschalten, sondern sofort hellwach werden, wenn in ihrer Nähe
Futter zu Boden fällt.
    Die Sonne ist ein hellgrauer Fleck hinter der dichten hohen
Wolkendecke. Wir haben Vormittag, und das Licht reicht aus, um einen Blick
durch das Fenster zu werfen. Ich muss mir eine Art Rettungsplan zurechtlegen.
    Die Türflügel knarren kaum, als ich mich durch den schmalen Spalt
zwänge, den ich aufgestoßen habe. Und dann nimmt mich eine Momentaufnahme der
Hölle gefangen, ein unbeschreiblicher Dreck und Gestank, gegen den das
Kircheninnere ein lachhaftes Vorspiel war. Diese Geschöpfe schlafen hier. Sie
entleeren sich hier. Sie fressen hier inmitten ihres Unrats.
    Meine Stiefel bilden Löcher in dem matschigen Stroh. Es knirscht.
Ich habe den Blick starr nach unten gerichtet, weil ich nicht in die braunen
Haufen treten will, die den Boden übersäen. An manchen Stellen bilden die
Exkremente eine dicke Schlammschicht. In einem nervösen Zickzack erreiche ich
die Querbalken, auf denen Lisa kauert.
    Eines der Monster bewegt sich.
    Ich halte die Luft an, bis es zur Ruhe kommt.
    Luft anhalten.
    Der Druck umschlingt mich stärker. Kohlendioxid brennt in meinen
Lungen, aber noch wage ich nicht auszuatmen.
    Luft anhalten.
    Tränen steigen mir in die

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