Wickelkontakt - Roman
die Verzweifelte vollends zusammen, sinkt dem Sanitäter in die Arme, der sie behutsam auf die Trage legt, wo sie schließlich weinend in den Krankenwagen geschoben wird. Zoom auf die Tränen, und dann Schwenk auf die glücklichen, frisch verheirateten Pärchen vorm Standesamt, eine Braut winkt lachend in die Kamera und wirft ihren Brautstrauß… Und die Braut bin ich…
» Sophie?« Wer störte mich in meinen Gedanken? » Wie weit bist du mit den Bienenfreunden? Kriegst du das bis um 13 . 30 Uhr fertig?«, fragte mich Alex, ebenfalls eine freie Mitarbeiterin. Ich erschrak und verschob meinen schönen Traum auf später. Genauso wie die Hochzeitsvorbereitungen– das hatte ja nun wirklich noch ewig Zeit. Meinen Job nahm ich so ernst und führte ihn gewissenhaft aus, dass mir wenig Zeit für Träumereien blieb.
33
Natürlich ist Maja mit ihren acht Monaten noch ein bisschen klein fürs Klettergerüst, aber die plötzliche Herbstwärme und das schöne Wetter will ich heute ausnutzen, um ihr jetzt schon mal zu zeigen, was sie nächstes Jahr so alles erwartet. Wir schieben durch den herbstlich leuchtenden Stadtpark, ich genieße die frische Luft, Maja sitzt inzwischen im Kinderwagen, dessen Lehne ich hochgestellt habe, und betrachtet staunend die Blätterkronen über uns und den mit Bucheckern und Blättern übersäten Waldboden. Ich bin von einer friedlichen, ruhigen Stimmung erfasst, alles ist jetzt irgendwie langsamer als im Sommer. Ich mag Hamburg im Herbst, ich mag den Nebel, der sich bis mittags auf den Wiesen und an der Alster hält, und die Sonne, die sich durch dicke Wolken doch immer einen Weg bahnt. Morgens ist es jetzt schon so frisch, dass wir uns in Mützen und Schals hüllen müssen, wenn wir beim Bäcker Brötchen holen, ab mittags kann man aber wieder im T-Shirt nach draußen, bevor es ab siebzehn Uhr meistens wieder kalt wird.
Ich versuche mit Maja genau die richtige Wärmephase abzupassen und bin gegen 15 . 30 Uhr mit ihr auf dem Stadtpark-Spielplatz. Auf einer Bank mache ich es mir gemütlich, setze Maja vor mir in den Sandkasten, von wo aus sie staunend ihre Umgebung betrachtet und anfängt, sich so viel Sand wie in ihre kleine Hand passt, auf einmal in den Mund zu schieben. Nachdem ich ihr ein Förmchen zum Anlutschen gegeben habe, lässt sie den Sand endlich Sand sein und ich lasse meinen Blick schweifen. Ich fühle mich heute unglaublich gütig und ruhig, mit mir und der Welt im Reinen, denke: » Wie lieb die ganzen Kinder hier sind, wie schön sie spielen«, sehe kleine blonde Mädchen schaukeln und entzückende Jungs rutschen, und die Welt ist in Ordnung.
Da hat das Universum bestimmt ganz laut gelacht, in die Hände geklatscht und mir einen kleinen Streich gespielt. Mitten in meinen liebevollen Gedanken an Glück und Freude verbreitende Kinder höre ich Maja brüllen, sehe ein viel größeres Kind wegrennen und registriere die Zusammenhänge erst, als ich in Majas tränenüberströmtes Gesicht sehe.
Nachdem ich meine Süße erschrocken in den Arm genommen und getröstet habe, bis sie nur noch trocken schluchzt, reibe ich ihr das letzte Dreck-Tränen-Gemisch vom Gesicht, und steuere wutentbrannt auf die Mutter des Sandwerfers zu.
» Entschuldigung, hallo, aber ihr Kind hat gerade mein Baby mit Sand beworfen«, sage ich zu der ziemlich müde aussehenden, rauchenden Mutter, die alles zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig sein kann.
» Ach ja? Das macht der immer so«, antwortet sie gelangweilt und pustet Rauch in Majas Richtung– schnell drehe ich mich mit ihr zur Seite, raus aus der Rauchwolke.
» Wie bitte?«, frage ich, völlig perplex.
» Ja, der Tschastin, der macht das so. Das ist seine Art der Kontaktaufnahme, sagt die Frau vom Jugendamt.«
Aha. Na dann schöne Grüße ans Jugendamt, und ich zeig dir gleich mal meine Kontaktaufnahme!
» Der meint das nicht so«, fügt sie noch hinzu.
Na, ach, dann bin ich ja beruhigt! Ich gucke ungefähr so gefährlich wie der Stier mit den blutunterlaufenen Augen von Findus und Pettersson in Eine Geburtstagstorte für die Katze und möchte mich auch gerne mit gesenkten Hörnern auf die Tschastin-Mutter stürzen, kann ihr ja aber andererseits nicht Sand in die Augen streuen oder mit einem Schäufelchen auf sie einschlagen. Obwohl genau das jetzt angebracht wäre.
Sie guckt wieder weg, an mir vorbei. Tschastin quält ein kleineres Kind und einige Enten gleichzeitig, indem er dem Kind den Sandeimer wegnimmt und ihn in den nahe gelegenen
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