Wickelkontakt - Roman
dass es wieder als Haar erkennbar war. Ich sprach am Telefon von einem » Notfall«, hätte aber nicht damit gerechnet, wirklich wie einer behandelt zu werden. Als ich im Salon ankam und an der Garderobe meine Mütze abnahm, die die Scheußlichkeit auf dem Weg dahin verdecken sollte, hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Die Föhne wurden sofort ausgeschaltet, Gespräche verstummten, Friseure und Kunden starrten mich entsetzt an, einer Frau traten die Augen fast aus dem Kopf– so sehr entsetzte sie mein verkorkster Anblick. Ich hätte gleich wieder heulen können, verkniff mir aber die Tränen und ging erhobenen Hauptes zum Tresen.
» Sophie Sonnenberg, ich hatte vorhin wegen des Notfalls angerufen,«, sagte ich selbstbewusst zu der in Schwarz gekleideten Schwarzhaarigen, die sich nicht wesentlich von den anderen Friseurinnen unterschied. Alle hatten schwarze Haare und liefen in schwarzen Klamotten rum. Bei den meisten– Männlein wie Weiblein– waren auch die Fingernägel schwarz lackiert.
» O ja, ich sehe schon, da muss wirklich schnell gehandelt werden«, murmelte die kaum Fünfzehnjährige und schaute auf ihren Terminkalender. Und mit einem » Meine Güte, wer hat Sie denn so zugerichtet?« führte sie mich kopfschüttelnd an meinen Platz.
Meine spärlichen Haarüberreste wurden dunkelblond übergefärbt, dann verlängerten zwei Friseurinnen das ganze mit Echthaar, das in sich hellblond gesträhnt war, so dass meine Haarpracht nach vier Stunden dunkelblond mit hellen Lichtreflexen schimmerte, genauso, wie ich es mir gewünscht hatte, nur länger und viel seidiger als meine echten Haare. Begeistert schwenkte ich meine lange Mähne hin und her– damit hätte ich locker jeden Pantene-Pro-V-Wettbewerb gewonnen. Na bitte, wer sagt’s denn. Warum nicht gleich so?
Einen Tag später ging ich zum Brautladen, um mein Kleid abzuholen. Zu Hause saß es wie angegossen, ja, fast wie aus Zement um mich herum gegossen: Ich konnte weder meine Arme bewegen noch tief Luft holen. Schon normales Atmen fiel mir schwer. Frustriert hängte ich das Kleid außen an die Schranktür. Dort wachte es über mich und schrie mir zu, wenn ich vor Aufregung nachts nicht schlafen konnte: » Nimm ab! Du musst noch abnehmen!« Es erinnerte mich permanent daran, die nächsten Tage eine absolute Nulldiät zu halten.
Das klappte natürlich nicht. Je nervöser ich wurde, desto mehr aß ich. Und ich wurde immer nervöser, weil ich ja auch meine Reportage noch üben musste. Das wiederum tat ich heimlich, und Jonas gegenüber hatte ich nun doch ein etwas schlechtes Gewissen, da ich ihm die Reporterstory immer noch verheimlichte. Da konnte ich mir jetzt noch so oft sagen, dass es eine tolle Überraschung werden würde– wer wusste schon, wie er das alles fand? Schließlich war es unsere Hochzeit, der schönste Tag unseres Lebens und eine ziemlich intime Angelegenheit. Na gut, es waren hundert Leute eingeladen, so intim war’s dann doch nicht, aber dass wir uns vor der ganzen Nation das Jawort geben sollten, hätte ich fairerweise wohl mit ihm absprechen sollen. Aber wo bliebe dann die Überraschung?
Außerdem, wenn ich es ihm jetzt sagen würde und er es nicht wollte: Niemals hätte ich die Reportage wieder abgeben können. Ich machte meinen Job gut, und so sollte es bleiben. Jonas würde schon Verständnis aufbringen, da war ich mir ganz sicher. Er liebte mich doch so wie ich war, mit all meinen verrückten Ideen! Und es war ja auch wirklich gut gemeint von mir. Also schob ich den Gedanken an die Reportage ganz weit weg, schüttete mir täglich dreißig Notfalltropfen auf die Zunge und schmiss gleichzeitig drei Baldrian ein, so dass ich während meiner Umfragen auf der Mönckebergstraße fast einschlief und fieberte trotzdem dem großen Tag entgegen.
Die Dinge nahmen ihren Lauf. Mir blieb nichts anderes mehr übrig, als abzuwarten und joggen zu gehen, damit sich mein Kleid überhaupt noch schließen ließ. Nach der Arbeit ließ ich mir einen Massagetermin geben, damit ich vier Tage vor dem Jawort schön entspannt wäre und die übrigen Vorbereitungen wie Ganzkörperpeeling und Intimrasur im Salon Yvette sowie die letzte Anprobe des Kleides noch überstehen konnte. Ab Donnerstag hatte ich dann zweieinhalb Wochen Urlaub; nach der Hochzeit wollten wir am Samstag in die Flitterwochen nach Schottland fliegen. Um die genaue Urlaubsplanung hatte Jonas sich gekümmert. Ich hatte nur erwähnt, dass ich an einem kulturellen Erholungsurlaub
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