Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
Eingangstür.
»Der Lieferwagen ist weg«, sagte sie, nachdem sie die Straße hoch und runter geblickt hatte.
»Welcher Lieferwagen?«
»Der, den Hank gemietet hat.«
»Vielleicht musste er ihn umparken.«
Bill bezweifelte, dass Carol das glaubte, er tat es selbst auch nicht. Er hatte ein mulmiges Gefühl: Carol stand heute Morgen eine unangenehme Erfahrung bevor.
Sie hasteten ins Haus. Sie keuchte auf, als sie den Leichnam auf dem Fußboden sah. Jemand hatte einen Vorhang von einem der zerschmetterten Fenster darüber gebreitet.
»Meinst du, es ist …?«, fragte sie und blickte Bill mit Panik erfüllten Augen an.
»Ich sehe nach.«
Er kniete neben der reglosen Gestalt nieder und hob einen Zipfel des Stoffes an. Er ließ ihn schnell wieder fallen, als er das weiße, qualvoll verzerrte Gesicht, den offenen Mund und die blicklosen, starren Augen sah.
»Das ist nicht Hank.«
Er nahm ihren Arm und führte sie weg.
Die Fahrt im Fahrstuhl war langsam und ruckelnd, als hätten die Motoren nicht genug Saft. Sobald sich die Türen auf ihrem Stockwerk öffneten, sprang Carol aus der Kabine und rannte den Flur hinunter. Bill bemerkte ein paar halb getrocknete braune Flecken auf dem Teppich und eine Art Spur in der gleichen Farbe, die zu ihrer Wohnungstür führte, sagte aber nichts. Sie hatte die Tür aufgeschlossen, als er sie eingeholt hatte. Er blieb dicht hinter ihr, als sie die Wohnung betrat.
Er stieß gegen ihren Rücken, als sie stockstarr auf der Schwelle stehen blieb.
»Leer! Er ist weg!«
»Leer?«
Er sah sich um. Hank war vielleicht weg, aber die Wohnung wirkte nicht leer. Abgesehen von dem Maschendraht vor den Fenstern war alles wie beim letzten Mal, als er hier gewesen war. Die Möbel waren an Ort und Stelle, nichts war …
»Die Lebensmittel und der Rest seines Hamstervorrats. Es ist alles weg!« Ihre Stimme ging in ein Schluchzen über. »Er wäre nie ohne das gegangen. Er hat das mitgenommen und mich zurückgelassen.«
Bill durchsuchte hastig die Wohnung. Er fand eine Notiz auf der Ankleide im Schlafzimmer:
Liebe Carol,
ich habe unsere Vorräte genommen und bin auf der Suche nach einem sichereren Ort. Ich glaube, ich weiß einen. Ich kann noch nicht sagen, wo das ist, aber wenn ich da alles eingerichtet habe, komme ich und hole dich.
Warte auf mich
In Liebe, Hank
Liebe, ja sicher.
Carol schien am Boden zerstört, als sie den Zettel las. Bill wusste, es lag nicht daran, dass Hank die Nahrungsmittel genommen und sich damit aus dem Staub gemacht hatte. Die Lebensmittel spielten keine Rolle. Hank hatte ihr gezeigt, welchen Stellenwert sie für ihn besaß. Bill legte die Arme um ihre bebenden Schultern und drückte sie an sich.
Auch wenn es herzlos klang, er war froh, dass Hank sich davongemacht hatte. Weil es damit eine Schranke weniger zwischen ihnen gab. Er verabscheute sich deswegen. Aber er begehrte sie. Gott, wie sehr er sie begehrte.
Er zwang sich dazu, die Umarmung zu lösen und ihren Arm zu nehmen. »Komm. Wir fahren zurück.«
»Nein, Bill. Ich muss hier warten, bis ich von Hank höre.«
»Hank?« Plötzlich war er wütend auf sie, auf Hank, auf alles. »Hank ruft nicht an.« Er ging zum Sofa und zog den Telefonhörer unter einem Kissen hervor und ließ ihn vor ihrer Nase baumeln. »Da siehst du, wie viel Hank daran gelegen ist, mit dir zu reden.«
Carol sackte in sich zusammen. Sie drehte sich um und ging zur Tür hinaus. Bill schleuderte den Telefonhörer zu Boden. Jetzt war er wütend auf sich selbst. Er holte sie vor dem Fahrstuhl ein.
»Es tut mir leid. Das war unangebracht. Aber ich hasse ihn dafür, dass er dich im Stich gelassen hat. Weil er uns auch im Stich gelassen hat.«
Carol starrte ihn an, Tränen in den Augen. »Uns?«
»Uns alle. In dieser Zeit müssen wir alle zusammenhalten, wir müssen uns gegenseitig durch diese Katastrophe helfen. Wenn man das tut, was Hank getan hat, wird Rasalom dadurch nur stärker. Das ist ein weiterer Stein in den Mauern, die sich um die Menschen herum aufbauen. Siehst du nicht, was da passiert? All die immateriellen Werte, die uns verbinden, werden zerstört. Liebe, Vertrauen, Brüderlichkeit, Gemeinschaft, Nächstenliebe, Nachbarschaftshilfe. Die gewöhnlichen, alltäglichen Dinge, die uns menschlich machen, die aus uns mehr als nur eine Ansammlung von Organismen machen, die uns über uns hinauswachsen lassen – die lösen sich alle in Rauch auf.«
»Das ist die Angst, Bill. Jeder hat Angst. Der Tod ist überall. Unten ist
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