Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
unverkennbar, aber wenn Geruch ein moralisches Kriterium wäre, wäre auch Harzer Käse böse. Doch Ba war offenkundig beunruhigt, fast schon ängstlich. Sylvia musste das akzeptieren. Jedes merkliche Anzeichen einer Gefühlsregung bei diesem Mann war ein so außergewöhnliches Ereignis, dass man es nicht einfach abtun konnte. Und wenn er Angst zeigte … Das war eigentlich unvorstellbar. Plötzlich hatte Sylvia selbst ein bisschen Angst.
»Na gut, Ba«, sagte sie und trat zurück. »Wir schließen die Tür, wenn du das für besser hältst.«
Er lächelte erleichtert. Doch als er nach der Tür griff, um sie zu schließen, krachte etwas gegen das Gitter. Noch ein Käfer, aber der hier war anders. Ein bedrohlich aussehendes Viech, das nur aus Maul zu bestehen schien. Die Kiefer waren mit Hunderten transparenter Zähne gesäumt, die aussahen wie winzige Glasdolche. Einige der Zähne hatten beim Aufprall das Gitter durchstochen. Das Wesen hielt sich mit seinen winzigen Krallen an dem Metallgeflecht fest und begann zu kauen und so das Loch zu erweitern.
Ba schlug die Tür zu, gerade als sich der Kopf durch den Spalt schob.
»Mein Gott! Was sind das für Kreaturen?«
»Was ist was?«, fragte Alan, der in diesem Moment mit seinem Rollstuhl in die Küche rollte.
»Kaukäfer und Popelkäfer!«, wimmerte Jeffy.
Sylvia spürte, wie er sich gegen ihr Bein drängte und sich an sie klammerte. Jetzt wirkte er verängstigt. Sie strich sein blondes Haar glatt und zeigte ihm ein, wie sie hoffte, ermutigendes Lächeln.
»Hab keine Angst, Jeffy. Sie können hier nicht herein.«
»Doch, das können sie! Sie wollen mich fressen!«
In diesen Augenblick donnerte eines der zahnbewehrten Insekten gegen das Gitter des Klappfensters über der Spüle, gerade als Alan daran vorbei kam. Er hielt an und starrte hoch.
»Was zum …?«
Das Ding begann das Fliegengitter zu zernagen. Ba ging an Alan vorbei und versuchte es wegzuschlagen, aber seine Bemühungen schienen die Kreatur nur wütend zu machen. Sie surrte noch lauter und zog so andere ihrer Art an.
»Macht das Fenster zu«, flennte Jeffy zitternd an Sylvias Bein. »Die sollen mich nicht kriegen.«
Alan saß ruhig in seinem Rollstuhl und starrte die Viecher an. Ihm musste klar sein, dass er direkt in der Gefahrenzone saß, falls diese Dinger durchbrechen sollten, aber seit er im letzten Jahr aus dem Koma erwacht war, schien ihm nichts mehr Angst einzuflößen. Die einzige Konzession, die er den Viechern gegenüber machte, war die, dass er sich ein Geschirrhandtuch unter der Spüle griff und es sich langsam um die rechte Hand wickelte.
Sylvia sah das Problem. Wenn sie das Fenster jetzt herunterklappten, waren die beiden Insekten zwischen dem Glas und dem Schutzgitter gefangen und würden buchstäblich in die Küche hineingedrückt. Aber falls da noch mehr kamen, war es vielleicht trotzdem besser, das Fenster zu schließen.
Anscheinend sah Ba das genauso. Er kurbelte das Fenster über den beiden Kreaturen herunter. Und keinen Augenblick zu früh. Sekunden später prallte ein drittes Insekt gegen das Glas. Der beengte Raum zwischen Glas und Gitter drückte den gefangenen Insekten die Flügel an den Körper und stoppte das Surren, nicht aber ihr Nagen. Was könnte er tun, wenn …?
Sie sah, wie Ba die Messerschublade öffnete.
»Komm schon, Jeffy«, sagte sie und drehte ihn zur Seite. »Gegen Ba und Alan haben diese Viecher keine Chance, warum gehen wir nicht nach oben und …«
»Ich habe Angst, Mami«, sagte Jeffy. »Ich will nicht nach oben. Was ist, wenn sie da auch durch die Fenster hereinkommen?«
Die Fenster im Obergeschoss – sie standen alle offen. Es war ein so schöner Tag gewesen, sie hatte richtig durchlüften wollen. Verdammt, sie musste nach oben und sie schließen!
»Was ist mit dem Keller?«, meinte sie. »Da gibt es keine Fenster. Willst du für ein paar Minuten im Keller warten, während ich oben alles überprüfe?«
Er nickte eifrig. Im Spielzimmer da unten waren viele seiner Spielsachen. Da würde er sicher sein und, was noch wichtiger war, da würde er sich sicher fühlen.
»Soll Phemus mit dir mitkommen?«
»Ja! Dann ist er auch in Sicherheit!«
Sylvia geleitete Jeffy und den Hund durch den Flur zur Kellertür. Als sie das Licht anknipste, deutete Jeffy die Stufen hinunter.
»Guck mal, Mami, Mess ist auch da.«
Sie sah ihre Hauskatze am Fuß der Treppe sitzen, mit weit aufgerissenen Augen und gesträubtem Fell. Sie wirkte wie verhext. Phemus rannte
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