Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Blueten Am Fluss

Wie Blueten Am Fluss

Titel: Wie Blueten Am Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
verfügte und noch dazu so geschickt zu
    klettern vermochte. Aber dann erstarb Andrews Interesse an der Möwe ebenso plötzlich, wie es
    aufgelodert war, und er stieg flink auf das Hauptdeck hinunter, wo ein Frosch über die Planken sprang.
    Shemaine, die stehenblieb, um wieder zu Atem zu kommen, stellte fest, daß sie sich mittlerweile
    ziemlich weit vorn auf dem Vorschiff befand, und da die Aussicht von dieser Stelle aus einfach
    hinreißend war, trat sie weiter auf den Decksüberhang hinaus. Unter sich konnte sie am Stützgerüst
    große Steinbrocken liegen sehen, und wenn sie den Blick hob, bot sich ihr eine wunderschöne
    Aussicht auf die Hütte,
    »Verflucht, Shemaine!« brüllte eine Stimme, und beinahe wäre sie vor Schreck von ihrem luftigen Ausguck gefallen. »Komm da runter! Komm runter, bevor du abstürzt!«
    Shemaine sah, daß Gage bereits auf sie zustürmte, und bevor sie noch seinem Befehl nachkommen
    konnte, stand er auch schon neben ihr, packte ihren Arm und riß sie von dem provisorischen
    Buggeländer weg, hinter dem der Abgrund gähnte. Als sie wieder auf dem Hauptdeck standen, hielt er
    sie an den Schultern fest
    232
    und schüttelte sie grob. Dann überhäufte er sie mit sprühendem
    Tadel.
    »Geh nie wieder da rauf, hast du mich gehört! Das ist gefährlich! Bleib einfach da weg!«
    Shemaine nickte völlig verängstigt. Sein Zorn hatte sie zutiefst eingeschüchtert. »J... ja... na...
    natürlich, Mr. Thornton«, stammelte sie und mußte gleichzeitig gegen Schmerzestränen kämpfen.
    Seine Finger umklammerten ihre Arme mit solch unerbittlicher Härte, daß sie nicht den leisesten
    Zweifel hatte, daß sie später blaue Flecken dort entdecken würde. Zitternd versuchte sie, sich aus
    seinem stählernen Griff zu lösen. »Bitte, Mr. Thornton, Sie tun mir weh.«
    Als hätte ihn seine eigene Wildheit erschreckt, ließ Gage sofort die Hände sinken und taumelte einen
    Schritt zurück. »Es tut mir leid«, stieß er mit heiserem Flüstern hervor. »Ich wollte dir nicht...«
    Dann drehte er sich auf dem Absatz um, ließ sie stehen und verließ schnellen Schrittes das Schiff. Als seien sie zu Statuen versteinert, sahen Shemaine und seine Männer ihm nach, während er hastig die Helling hinunterlief. Dann marschierte er, als seien die Furien der Hölle ihm immer noch auf den
    Fersen, zur Tischlerwerkstatt, und einen Augenblick später klang das ferne Zuschlagen einer Tür wie
    ein Donner durch die Stille, die er an Bord des Schiffes zurückgelassen hatte.
    Shemaine wandte sich mit einem ratlosen Stirnrunzeln an Gillian; der Zorn, den ihr Herr soeben an
    den Tag gelegt hatte, erschütterte sie zutiefst. »Was habe ich getan? Warum war Mr. Thornton so
    wütend auf mich?«
    »Machen Sie sich man keine Sorgen, daß der Käpt'n böse auf Sie sein könnt', Miss«, murmelte der
    junge Mann, der versuchte, ihre Ängste zu zerstreuen. »Es war wohl Ihr Anblick, wie Sie da oben auf
    dem Bug gestanden haben. Das ist nämlich die Stelle, wo seine Frau in den Tod gestürzt ist.«
    Shemaine preßte sich eine Hand auf den Mund, um ein verzweifeltes Aufstöhnen zu ersticken. Wie
    konnte sie nur einen so schlimmen Fehler machen?
    233
    »Warum gehen Sie nicht mit Andrew wieder zurück in die Hütte, Miss«, meinte Gillian freundlich.
    »Ich bringe Ihnen dann alles rauf, was noch übrig ist.«
    Shemaine nahm seinen Rat an und ging mit Andrew an der Hand vom Schiff. Dankbar stellte sie fest,
    daß der jüngere Mann die Zinnteller und die Becher im Fluß abgespült und dann den Korb an der Tür
    der Hütte abgestellt hatte. Im Handumdrehen hatte sie alles in Seifenwasser abgewaschen und
    abgespült und sauber wieder in der Küche stehen.
    Nachdem Shemaine dann die frisch duftenden Laken und Kissen von draußen hereingeholt hatte,
    machte sie die Betten und legte sich endlich zusammen mit Andy in ihr eigenes Bett oben auf dem
    Dachboden. Sie las ihm noch etwas vor, bis er einschlief. Dann lag sie, während sein kleiner Kopf auf
    ihrem Arm ruhte, noch lange Zeit wach und starrte die Decke an. Wieder und wieder mußte sie an
    Gages zornige Reaktion denken, als er sie auf dem Bug des Schiffes gesehen hatte. Obwohl sie
    verstand, daß die Art, wie seine Frau zu Tode gekommen war, ihm zu schaffen machte, hatte sie doch
    in diesen kurzen Sekunden, während der er sie zurechtgewiesen und durchgeschüttelt hatte, in seinen
    Augen einen quälenden Schmerz entdeckt, der ihr noch nie zuvor aufgefallen war. Es stand wohl außer
    Zweifel,

Weitere Kostenlose Bücher