Wie Blueten Am Fluss
aufnehmen.«
»Heute nachmittag noch, wenn es nach mir geht«, erwiderte Shemaine entschlossen. Sie würde sich
nie wieder sicher fühlen, nicht bis Potts entweder abgereist oder tot war.
Gage wußte schon jetzt, was er zu tun hatte, denn der Matrose ließ ihm keine andere Wahl. »Wenn
Potts sich noch in Newportes Newes aufhält, dann werde ich ihn finden und die Sache mit ihm
austragen. Wenn er meine Warnung nicht ernst nimmt, werde ich ihn töten müssen.«
»Morrisa wird wissen, wo er ist«, antwortete Shemaine, während sie wackelig ihren ersten Schritt tat.
»Wenn ich bedenke, wie Potts da vor der Taverne herumlungerte, bezweifle ich stark, daß sich viel
geändert hat, seit er auf der London Pride nach ihrer Pfeife getanzt ist. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn Morrisa ihn dazu angestiftet hätte, hier herauszukommen und mich zu töten. Genau das hat sie mir nämlich die ganze Zeit schon angedroht.«
»Warum hat sie nur einen solchen Haß auf dich?«
Shemaines Brauen hoben sich zu einem überraschten Stirnrunzeln. Dies war eine Frage, die sie nicht
ohne weiteres beantworten konnte. »Ich bin mir nicht sicher, ob es da einen speziellen Grund gibt, Mr.
Thornton. Nun gut, ich habe ihre Versuche, die Herrschaft über die anderen Frauen zu erringen,
zunichte gemacht, indem ich Annie und die anderen ermutigt habe, ihr die Stirn zu bieten. Aber wenn
sie nicht völlig schwachsinnig ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß meine Weigerung, mich ihrem
Diktat zu unterwerfen, Grund genug für sie wäre, mich tot sehen zu wollen.«
»Vielleicht ist sie eifersüchtig.«
»Oh, sie wollte Sie, das steht fest«, gab Shemaine bereitwillig zu, obwohl sie abermals ein Grinsen
unterdrücken mußte. »Sie schwor damals, mir die Augen auszukratzen, wenn ich das Schiff mit Ihnen
verließe.«
»Morrisa betrachtet sich offensichtlich als eine hübsche Frau und
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besteht darauf, ihre Wahl unter den Männern selbst zu treffen. Vielleicht ärgert es sie, daß eine andere Frau ihr überlegen ist.«
»Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, da steckt noch mehr hinter ihren Motiven. Es ist nur
ein Verdacht, aber ich mache mir Gedanken über sie, seit sie an Bord der London Pride kam.«
»Und warum?«
»Morrisa hatte mich nie im Leben gesehen, bevor man sie in unsere Zelle im Frachtraum des Schiffes
brachte. Sie war zwar auch in Newgate gewesen, aber in einer anderen Abteilung. Nachdem sie alle
Frauen gemustert hatte, fragte sie, welche von uns Shemaine O'Hearn sei. Ich hatte seinerzeit keine
Lust, meine Identität preiszugeben, und die anderen Frauen stellten sich dumm. Morrisa gab mir den
Spitznamen Irentrampel und fragte nicht weiter. Später gerieten wir uns in die Haare, weil sie das
Essen verlangte, das man mir gegeben hatte. Sie ging mit gezücktem Messer auf mich los, und ich
schleuderte ihr einen Eimer mit Wasser ins Gesicht. Der Bootsmann kam hinunter, um der Rauferei
ein Ende zu machen, und rief mich beim Namen. An Morrisas selbstgefälligem Grinsen glaubte ich
erkennen zu können, daß sie meinen Namen bereits erraten hatte. Sie hat jedenfalls alles in ihrer Kraft Stehende getan, um Gertrude Fitch und Jacob Potts gegen mich aufzubringen.«
»Wer könnte ihr denn von dir erzählt haben?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, warum irgend jemand überhaupt mit ihr über mich gesprochen haben
sollte. Wir waren alle Fremde. Bis auf den Gefängniswärter und den Bootsmann, die die Gefangenen
überprüften, gab es nur noch einen einzigen, der mich jemals aufforderte, meinen Namen zu nennen,
und das war ein Schließer in Newgate. Nachdem ich mich bereit erklärt hatte, in die Kolonien zu
gehen, kam er das erste Mal in meine Zelle.«
»Hat er jemals versucht, dir etwas anzutun?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich weiß nur, daß er mich viel beobachtet hat.«
»Vielleicht bewunderte er deine Schönheit«, meinte Gage, dem ihre Wirkung auf einige Männer nicht
hatte entgehen können.
Shemaine lachte abwehrend auf. »Ich glaube wirklich nicht, daß ich zu seinen Lieblingsgefangenen
zählte. Kurz bevor man uns an
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Bord der London Pride brachte, geriet ich in einen Faustkampf zwischen einigen Gefangenen, und mir wäre beinahe der Kopf entzweigeschlagen worden, als einer dieser Rohlinge anfing, ihn gegen eine Steinwand zu hämmern. Der Schließer hat das Ganze beobachtet, aber keinen Finger gerührt, um
etwas dagegen zu unternehmen. Erst als der Gefängniswärter den
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