Wie Blueten Am Fluss
Bett zu ziehen.
»Hast du verstanden, daß ich mir diesen neuen Kummer selbst zuzuschreiben habe, weil ich nicht auf
den Doktor hören wollte?« Das Kind sah seinen Großvater nur mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich
hätte mehr Rücksicht auf deine Mutter nehmen und mir vorher überlegen sollen, wieviel
Schwierigkeiten ich ihr mache, wenn ich die Laken und die Treppe mit meinem Blut beschmutze.
Außerdem weiß ich, daß ich dich erschreckt habe, und das tut mir leid. Ich hätte hier auf dem
Dachboden bleiben und nicht versuchen sollen hinunterzugehen. Hätte ich das nicht getan, hätte der
Doktor meine Wunden nicht noch einmal zu nähen brauchen. Hast du verstanden?«
Der Junge nickte, und William zauste sein dunkles Haar, was ihm ein Grinsen von dem Kleinen
eintrug.
Auch Gage, der sich gerade die Hände abtrocknete, fügte sich nun mit einem Lächeln den sanften
Argumenten seiner Frau. »Also gut, meine Liebste, ich werde meinen Männern sagen, daß sie den
Rest des Tages ohne mich auskommen müssen. Ist das in deinem Sinne?«
»Ich hätte eine Sorge weniger, wenn ich wüßte, daß du dich ausruhst.« Shemaine streckte die Hand
aus, strich leicht mit den Fingern durch sein Haar und tastete vorsichtig die Schwellung ab, die unter der genähten Wunde immer noch zu fühlen war. »Ich möchte doch nicht, daß dir irgend etwas zustößt, jetzt, da wir einander gefunden haben.«
Es hieß, Gertrude Turnbull-Fitch habe in Newportes Newes nach dem Tod ihres Vaters für solchen
Aufruhr gesorgt, daß die britische Verwaltung des Weilers sich für die Frage zu interessieren begann,
ob sie möglicherweise in den Anschlag auf Gage Thorntons Schiff
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verwickelt war. Um sich einen Zugang zu Turnbulls Reichtum offenzuhalten, zerrte Kapitän Fitch
seine Frau mit Gewalt an Bord der London Pride und nahm Kurs auf England, bevor irgend jemand tatsächlich beschloß, sie zu verhaften. Sie zischte wie eine Viper und keifte wie eine Wahnsinnige, aber Everette lächelte nur. Jetzt, da J. Horace Turnbull tot war, hatten die Drohungen seiner Tochter
kaum noch Gewicht. Er nahm sich fest vor, daß es Gertrudes letzte Fahrt auf der London Pride sein würde, denn sie hatte ihnen durch den Verlust an Menschenleben ein größeres Loch in die Kasse gerissen, als er das mit seinen Diebstählen je getan hatte. James Harper und die Mannschaft errieten
die Absicht ihres Kapitäns, wagten es aber nicht, ihre erleichterten Seufzer hören zu lassen. Erst
nachdem sie die Gestade Englands wieder erreicht hatten und sicher sein konnten, die Xanthippe das
letzte Mal gesehen zu haben - erst dann würde es eine Feier geben, die selbst ihre kühnsten Träume
übertraf.
Anfänglich hofften Shemaine und Gage beide, daß die London Pride mit Potts wieder in See
gestochen war, aber sie sollten schon bald erfahren, daß er desertiert war und sich immer noch in der
Nähe aufhielt. Einige Leute behaupteten, er scharwenzele wieder um Morrisa herum. Indessen ließ
sich unschwer ahnen, daß Freida, die ihre Mädchen und deren Kundschaft genauestens im Auge
behielt, Potts für jede Gunst Morrisas kräftig zur Kasse bitten würde. Der Sold eines Matrosen konnte
bei solcher Prasserei nicht lange reichen, und er würde wohl eines Tages wieder Arbeit suchen oder zu
drastischeren Maßnahmen greifen müssen, um sich auch nur mit dem Allernotwendigsten versorgen
zu können.
Potts' Wohlergehen lag Shemaine und Gage jedoch weniger am Herzen. Ihre Sorge galt vielmehr den
Drohungen, die der Mann in der Vergangenheit ausgestoßen hatte. Sie fürchteten, daß sehr bald der
Tag kommen würde, da er abermals Rache zu nehmen versuchte. Es verging keine einzige Stunde, in
der sie sich nicht fragten, ob er wieder in den Wäldern auf sie lauerte und nur auf eine günstige
Gelegenheit wartete, einen von ihnen zu töten.
Kurz nach der Abreise der London Pride brachte Calley ein kleines Mädchen zur Welt, und ihr Glück war vollkommen. Annie 447
blieb noch eine Woche bei ihr, gerade lange genug, daß die Frau sich wieder selbst um die alltäglichen Belange ihres Haushalts kümmern konnte. In den folgenden Tagen wurde für Annie und Dr. Colby Ferris eine kleine Hochzeit in einer Kirche im Weiler geplant. Der Zeremonie würden nur wenige enge
Freunde beiwohnen, aber das ganze Dorf war eingeladen, anschließend an dem großen Festmahl in der
Taverne teilzunehmen, die das beste Essen weit und breit auftischte. Zumindest für diesen
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