Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Blueten Am Fluss

Wie Blueten Am Fluss

Titel: Wie Blueten Am Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
war sein Tonfall sanft und tröstend und wärmte Shemaines
    Herz vielleicht noch mehr als das des Jungen.
    Der Abend legte sich einige Stunden später übers Land und mit ihm ein immer dichterer Nebel, der die
    Hütte zu einer Insel in einem weißen Meer machte. Draußen konnte man irgendwo eine Eule rufen
    hören. Mit der Dunkelheit war auch eine tiefe Stille in die Hütte eingekehrt, die nur durchbrochen
    wurde vom Knistern und Prasseln des Feuers und von dem Kratzen einer Feder auf Pergament, als
    Gage sich hinten im Korridor Notizen in einem Rechnungsbuch machte. Völlig in seine Arbeit
    vertieft, schien er die Frau, die er vor einigen Stunden gekauft hatte, vergessen zu haben. Wann immer Shemaine von ihrer Näharbeit in der Küche aufblickte, konnte sie ihn durch die offene Tür sehen. Sie saß rechts vom Feuer in einem Schaukelstuhl und hatte die Hälfte des Flurs im Blick. Nachdem sie mit
    den Thorntons die von Hannah Fields zubereiteten Speisen zu Abend gegessen hatte, hatte sie alles für
    das Frühstück vorbereitet und die Küche aufgeräumt. Später hatte Gage Andrew in seinem kleinen
    Zimmer gleich neben seinem eigenen Schlafzimmer zu Bett gebracht und sich dann an seinem
    Zeichentisch an die Arbeit begeben. Shemaine säumte in der Zwischenzeit das blaue Gewand und das
    zweite Unterkleid, das sie für sich ausgesucht hatte.
    Es hatte gewiß nicht in ihrer Absicht gelegen, ihren Herrn mit ihrem Verlobten zu vergleichen, aber
    während ihre Finger die Nadel durch den Stoff zogen, machten Shemaines Gedanken sich selbständig.
    In vieler Hinsicht ähnelten die beiden Männer sich. Beide hatten sie Haar so schwarz wie die
    Schwingen eines Raben. Gage Thornton trug das Haar kurzgeschnitten, Maurice dagegen hatte seine
    Mähne zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Beide verzichteten sowohl auf Puder als auch auf
    Perücken. Wenn es einen Größenunterschied zwischen den beiden Männern gab, dann war
    120
    dieser zu geringfügig, um ihn zu bemerken. Beide waren groß, breitschultrig, schlank, aber muskulös,
    und sahen in jeder Kleidung vorzüglich aus, ob es sich dabei um die Wildlederhosen und die groben
    Hemden handelte, die Gage bevorzugte, oder um Maurice' elegantere Ausstattung. Obwohl ihr
    Verlobter im allgemeinen schwarze Seide allen anderen Farben und Stoffen vorzog, ging es ihr durch
    den Sinn, daß der Marquis, so stattlich er auch war, in seiner höfischen Pracht nicht beeindruckender
    ausgesehen hatte als Gage Thornton in seiner strapazierfähigen Kleidung. Die Hüften ihres Herrn
    waren schmal genug, um den Neid des eitelsten Dandys zu erregen. Und die engen Lederhosen
    zeichneten jeden Muskel nach, ein unverkennbarer Beweis für die athletische Kraft des Mannes.
    Maurice du Mercer war gewiß kein Schwächling gewesen, registrierte Shemaine im Geiste, damit ihr
    Vergleich nicht parteiisch ausfiel. Er war in der Tat ein beachtlicher Fechter und hervorragender
    Reiter. Des weiteren war er bewandert in sämtlichen höfischen Tänzen und bewegte sich auf dem
    Parkett mit derselben Anmut, mit der er ein Pferd ritt. Andererseits ließ sich der Unterschied zwischen den beiden Männern einfach durch den Vergleich ihrer Hände zusammenfassen. Gages Finger waren schlank und hart. Im Zugriff eines solch stählernen Schraubstocks hätten die blassen, schönen, von
    Schwielen unversehrten Hände des Marquis du Mercer üble Knochenbrüche erleiden können.
    Irgendwann einmal, vielleicht vor ein oder zwei Jahrhunderten, war Shemaine davon überzeugt
    gewesen, daß kein Mann es mit der äußeren Vollkommenheit ihres Verlobten aufnehmen konnte.
    Gewiß hätte niemand die aristokratische Noblesse von Maurice' Zügen geleugnet oder die Schönheit
    seiner dunkelbewimperten, fast schwarzen Augen. Als ihre Mutter, die bis dahin großes Vertrauen in
    die Vernunft ihrer Tochter gesetzt hatte, von seinem Heiratsantrag erfuhr, hatte sie der Sorge
    Ausdruck verliehen, daß Maurice und Shemaine möglicherweise mehr von einer starken körperlichen
    Anziehung zueinander als von tiefer und unverbrüchlicher Zuneigung beherrscht wurden.
    Eine Weile später hatte Camille abermals die Vermutung ge—
    121
    äußert, daß Shemaine sich von der Grandezza ihres Verlobten und seiner Stellung im Leben hatte
    hinreißen lassen. Shemus O'Hearn mochte zwar von teuflischem Temperament sein, aber er war in
    aller Regel klug genug, den Rat seiner Frau zu beherzigen. Gemeinsam hatten sie beschlossen, ihre
    Zustimmung zu verweigern, und

Weitere Kostenlose Bücher