Wie Blueten Am Fluss
ihr neuer Herr die
Treppe heraufkommen und sie aus dem Bett holen werde. Das leise Knarren der Verandatür, die
geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen wurde, bedeutete wohl, daß er die Hütte verlassen
haben mußte, und ihr wild schlagendes Herz verfiel wieder in ein ruhigeres Tempo.
Immer noch zitternd mühte Shemaine sich aus dem Bett und schlug Funken an einer Zunderbüchse,
um eine Kerze zu entzünden. Dann zog sie sich den Morgenmantel der verstorbenen Frau Thornton
über das Nachthemd, griff nach der Kerze und stieg hastig die Treppe hinunter. Die winzige Flamme
zuckte und tanzte in dem Luftzug, den sie mit ihren schnellen Schritten Richtung
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Wohnküche verursachte. Ungeachtet ihrer mangelhaften Bekleidung entzündete sie dort eine Laterne,
schürte das Feuer im Herd und begann, eine Mahlzeit zusammenzustellen. Ihre Morgentoilette, das
hatte sie bereits entschieden, würde bis später warten müssen. Für den Augenblick hatte sie
Wichtigeres zu tun.
Sie hatte das Frühstück schon am Abend zuvor geplant und ein Backblech mit Brötchen etwas abseits
des Feuers aufgestellt, damit der Teig noch gehen konnte. Sie wollte vermeiden, ihren ersten
Arbeitstag schlecht vorbereitet zu beginnen. Bess Huxley hatte seinerzeit die Klugheit einer Frau
gepriesen, die jede Aufgabe, der sie sich unterzog, wohlvorbereitet anging, und sie hatte versucht, die Gründe dafür auch ihrer jungen Schülerin zu vermitteln. Aber erst jetzt, da Shemaine sich genötigt sah, ihre Fähigkeiten dem Mann, der sie erworben hatte, zu beweisen, wußte sie die Vorteile eines
klaren Zeitplans richtig zu schätzen. Voller Freude sah Shemaine zu, wie die Brötchen im Ofen
bräunten, wie die geräucherten Wildbretstreifen auf einem Blech brutzelten und die Eier fest wurden,
während sie sie in einer Pfanne über dem offenen Feuer rührte. Wie sehr sich ihre Gefühle heute doch
von der Langeweile unterschieden, die sie einst ausgestanden hatte, als man sie zu so monotonen
Arbeiten drängte. Solange sie noch bei ihren Eltern lebte, hatte sie jede Betätigung in der Küche als
abscheuliche Zumutung empfunden, und sie hatte, was von ihr verlangt wurde, nur getan, um die
Köchin zu beschwichtigen.
Die ersten Strahlen der Morgensonne fielen bereits durch die Fensterscheiben, als Gage die Läden
aufklappte. Als er seine Pflichten draußen erledigt hatte und mit einem Krug frischer Milch und einem
Korb Eier in die Hütte zurückkehrte, war diese bereits von warmem Licht und den köstlichen Düften
nach frischen Brötchen und Wildbret erfüllt. Als er in der Küche an Shemaine vorbeiging, betrachtete
Gage mit unverhohlenem Staunen das Mahl, das aufzutischen sie im Begriff stand.
»Du erweist dich als Lügnerin, Shemaine«, bemerkte er, während er den Korb und den Eimer auf
einen Beistelltisch stellte. Er vermochte kaum den Blick von den heißen Brötchen abzuwenden, denn
er zweifelte ernsthaft, daß er jemals ein Brot gegessen hatte,
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das so köstlich aussah. Aber andererseits war es vielleicht nur sein Hunger, der seine Erinnerung
trübte.
Seine Worte ließen Shemaine augenblicklich besorgt aufblicken. »Wieso, Sir?«
»Nun, es dürfte wohl auf der Hand liegen, daß du sehr wohl kochen kannst«, erwiderte Gage und
deutete mit weit ausladender Geste auf die verschiedenen Speisen. »Vielleicht sogar gut genug, um
selbst Roxanne Corbin zu beschämen. Warum hast du mich das Gegenteil glauben lassen?«
Da ihn diese Frage tatsächlich interessierte, widmete Gage ihr nun seine volle Aufmerksamkeit. Doch
die Neugier, die seine Stirn in Falten gelegt hatte, konzentrierte sich langsam auf etwas anderes. Er
ließ seine warmen, braunen Augen von ihrem zerzausten Pferdeschwanz abwärtsgleiten, bis hin zu den
schmalen Zehen, die unter ihrem Saum hervorlugten. Unter seiner beiläufigen Musterung krümmten
sich diese zarten Glieder vor Verlegenheit, bis er sie aus seinem prüfenden Blick entließ. Seine Augen wanderten wieder aufwärts und verweilten einen kaum wahrnehmbaren Moment auf dem weichen, wohlgerundeten Busen, der unter ihrem Nachtgewand offensichtlich von keinem Mieder gehalten
wurde.
Shemaine, die sich ihres undamenhaften Zustandes schmerzlich bewußt war, legte sich einen Arm
quer vor die Brust und zerrte den mit Spitzen eingefaßten Kragen ihres Morgenmantels enger um ihren
Hals. Wären die Kleidungsstücke durchsichtig gewesen und ihr Körper seinem durchdringenden Blick
schutzlos preisgegeben,
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