Wie Blueten Am Fluss
was für eine Art
Kindermädchen sich Gage auf einem Sträflingsschiff gekauft hat.«
Die tiefe Abneigung, die aus den abschätzigen Worten der anderen Frau sprach, trieb Shemaine die
Röte ins Gesicht. Sie wünschte, sie könnte die Frau einfach ihrer Wege schicken und mit Andrew ins
Schlafzimmer zurückkehren, denn ihre ohnehin geschwächten Arme würden seinem Gewicht nicht
mehr lange gewachsen sein. Das Risiko, ihn fallen zu lassen, machte ihr angst, aber ihr fiel beim
besten Willen keine würdevolle Art und Weise ein, wie sie die Besucherin zum Gehen auffordern
konnte.
Trotz ihrer mißlichen Lage fiel Shemaine jedoch auf, daß Andrew, so sehr Mrs. Pettycomb auch
betont hatte, daß der Junge Roxanne von ganzem Herzen zugetan sei, kaum einen Blick für sein
ehemaliges Kindermädchen hatte. Es schien ihn viel mehr zu interessieren, einen Finger in die
rebellischen Locken zu schieben, die sich an Shemaines Schläfen zu kräuseln pflegten.
Shemaine verlagerte Andrews Gewicht in ihren Armen noch einmal und nahm die letzen Reste Kraft
zusammen, über die sie noch verfügte. Als Andrew ihr beide Arme um den Hals schlang und sich
zusätzlich noch am Stoff ihres Kragens festhielt, war sie dem Jungen zutiefst dankbar.
»Kann ich irgend etwas für Sie tun, Roxanne?« fragte Shemaine in dem Versuch, sich so bald wie
möglich aus ihrer unangenehmen Lage zu befreien. »Wenn nicht, möchte ich Andrew jetzt gerne
anziehen.«
»Mistress Roxanne für dich, Mädchen«, verbesserte die blonde Frau hochmütig. »Wenn du schon
nichts anderes lernst, sollte man dir wenigstens beibringen, wie du Leute, die über dir stehen,
geziemend anzureden hast.«
»Mistress Roxanne, wenn es Ihnen lieber ist«, erwiderte Shemaine steif.
Die Hintertür wurde geöffnet und wieder geschlossen, und männliche Schritte kamen durch den
Korridor. Ein Rascheln von Papier kündete von der Tatsache, daß Gage an seinem Schreibtisch
stehengeblieben war und etwas darauf suchte.
Seine Anwesenheit erfüllte Shemaine mit einer Woge der Erleichterung. »Mr. Thornton ist jetzt hier«,
eröffnete sie der Frau. »Vielleicht möchten Sie nun doch gern mit ihm sprechen.«
Gage hörte ihre Stimme, blätterte aber weiter in seinen Unterlagen, als er ihr zurief: »Ist jemand
gekommen, Shemaine?«
»Sie haben Besuch, Mr. Thornton«, rief Shemaine über die Schulter. Im nächsten Augenblick wurde
sie grob beiseite gestoßen und taumelte gegen den Türrahmen, während Roxanne sich an ihr
vorbeizwängte.
Gage trat an die Küchentür und blieb abrupt stehen, als er erkannte, um wen es sich bei seinem Besuch
handelte. Obwohl er versuchte, seinen Ärger zu verbergen, zogen seine Brauen sich doch zu einem
finsteren Stirnrunzeln zusammen, denn er wußte, was nun kommen würde. »Es überrascht mich, dich
hier zu sehen, Roxanne. Ich dachte, du müßtest dich um deinen Vater kümmern.«
Die blonde Frau hob das Kinn und nahm die Pose einer leidenden Märtyrerin an. »Ich bin gekommen,
um festzustellen, was du dir da gekauft hast, Gage, da Ja es ja nicht für nötig gehalten hast, mich über deine Absichten zu informieren. Mrs. Pettycomb dagegen brannte förmlich darauf, mir die Neuigkeit von deiner jüngsten Neuerwerbung zu überbringen. Es war ja so gütig von dir, mich wissen zu lassen, daß du einen Ersatz für mich gefunden hattest und daß meine Dienste nicht länger vonnöten sein würden.«
»Ich habe dir schon vor einiger Zeit gesagt, Roxanne, daß ich jemanden brauchen würde und nicht
warten konnte, bis dein Vater wieder auf die Beine kam«, konterte Gage, den es in allen Fingern
juckte, dieses Klatschweib von Mrs. Pettycomb von ihrem irdischen Elend zu erlösen. »Du hättest das
besser wissen sollen als jede andere. Es tut mir leid, daß ich gestern keine Zeit hatte, bei dir
vorbeizufahren und dich davon zu unterrichten, aber wegen des Unwetters mußte ich mich beeilen,
nach Hause zu kommen. Ich hatte die Absicht, gleich in die Stadt zu fahren und dich unterwegs auf—
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zusuchen.« Er hielt inne und stieß einen verärgerten Seufzer aus. Es tat ihm leid, daß sie der
Unverfrorenheit dieses klatschsüchtigen Frauenzimmers ausgesetzt gewesen war, aber er hatte
Roxanne mehr als einmal deutlich gewarnt. Sie hatte einfach nicht auf ihn hören wollen. »Ich hätte
wissen müssen, daß Mrs. Pettycomb mir in ihrer Sucht, nur ja die erste zu sein, die dir die Neuigkeiten eröffnet, zuvorkommen würde. Und dafür muß ich mich
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