Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
Titelmodel auf einem Nordstrom-Katalog. »Hallo, Lexi. Ich bin Jude. Schön, dich kennenzulernen. Wieso kenne ich dich nicht?«
»Ich bin gerade erst hergezogen.«
»Ah, dann ist ja alles klar. Woher kommst du?«
»Aus Kalifornien.«
»Ich werde es nicht gegen dich verwenden«, versprach Jude mit strahlendem Lächeln. »Hat deine Mutter denn nichts dagegen, wenn du direkt mit uns mitkommst?«
»Nein«, erwiderte Lexi und spannte sich in Erwartung der nächstliegenden Frage an.
»Ich könnte sie anrufen, wenn du möchtest, und uns miteinander …«
»Mo … om«, sagte Mia. »Du tust es schon wieder.«
Jude warf Lexi noch ein Lächeln zu. »Meine Tochter schämt sich für mich. Leider reicht es neuerdings schon aus, dass ich nur da bin und atme. Aber ich kann wohl kaum aufhören, ihre Mutter zu sein, nicht wahr? Ich bin sicher, deine Mutter ist dir genauso peinlich, stimmt’s Lexi?«
Lexi wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, aber das war auch überflüssig, denn Jude lachte und wartete gar nicht auf eine Antwort. »Ich soll nur zu sehen, nicht aber zu hören sein. Schön. Schnallt euch an, Mädels.«
Sie startete den Motor. Und Mia fing sofort an, über ein Buch zu reden, von dem sie gehört hatte.
Sie bogen von der Schule in eine hübsche Hauptstraße ein. Durch das gesamte Zentrum hindurch stockte der Verkehr immer wieder, doch als sie den Highway erreicht hatten, war alles frei. Sie folgten einer kurvenreichen, baumgesäumten, zweispurigen Straße, bis Jude sagte: »Trautes Heim, Glück allein«, und auf eine Kieszufahrt einbog.
Zuerst sah man zu beiden Seiten nur Bäume, die so hoch und dicht waren, dass sie jegliches Sonnenlicht abschirmten, aber dann beschrieb der Weg wieder eine Kurve, und sie landeten auf einer sonnenüberfluteten Lichtung.
Das Haus hätte auch aus einem Roman stammen können. Stolz thronte es inmitten der Parklandschaft, ein hoch aufragender Bau aus Holz und Stein mit unzähligen Fenstern. Niedrige Steinmauern unterteilten die wunderschön gestalteten Teile des Parks. Den Hintergrund bildete das Blau des Sunds. Lexi konnte hören, wie die Wellen ans Ufer rauschten.
»Wow«, sagte sie und stieg aus. Sie war noch nie zuvor in einem solchen Haus gewesen. Wie benahm man sich da? Was sagte man? Ganz sicher würde sie etwas falsch machen, und Mia würde sie auslachen.
Jude schlang einen Arm um ihre Tochter, dann gingen sie vor. »Ich wette, ihr Mädels habt Hunger. Soll ich euch ein paar Quesadillas machen? Dabei könnt ihr mir von eurem ersten Tag an der Highschool erzählen.«
Unbewusst blieb Lexi zurück.
An der Haustür sah Mia sich um. »Lexi? Willst du doch nicht reinkommen? Hast du es dir anders überlegt?«
Lexi spürte, wie ihre Unsicherheit schwand – oder sie vermischte sich wahrscheinlich mit Mias und verwandelte sich in etwas anderes. Sie waren gleich. Unglaublicherweise war das Mädchen, das nichts hatte, wie dieses Mädchen, das alles hatte. »Auf keinen Fall«, entgegnete Lexi und kam lachend zum Eingang gelaufen.
Im Haus streifte sie die Schuhe ab und merkte eine Sekunde zu spät, dass ihre Strümpfe Löcher an den Zehen hatten. Peinlich berührt, folgte sie Mia in das beeindruckende Haus. Wände aus Glas rahmten ein umwerfendes Panorama vom Meer, einen Steinkamin und schimmernde Bodenflächen ein. Sie traute sich gar nicht, etwas anzufassen.
Mia nahm ihre Hand und zog sie in eine riesige Küche. Dort hingen blinkende Kupfertöpfe an einem schwarzen skelettartigen Ding über einem Herd mit acht Kochplatten, und hier und dort sah man Vasen mit frischen Blumen. Sie setzten sich an eine lange Küchentheke aus schwarzem Granit, während Jude anfing, Quesadillas zu machen.
»Sie hat sich einfach zu mir gesetzt, madre . Dabei hab ich ihr gesagt, das sei gesellschaftlicher Selbstmord, aber das war ihr egal. Ist das nicht cool?«
Jude lächelte und wollte etwas sagen, aber Mia ließ sich nicht unterbrechen. Lexi konnte kaum ihrem Redestrom folgen. Es war, als hätte Mia jahrelang Beobachtungen und Gedanken für sich behalten, die nun herauskamen. Lexi wusste, wie das war, wenn man Dinge für sich behielt, wenn man Angst hatte und versuchte, nichts nach außen dringen zu lassen. Sie und Mia tauschten ihre Meinungen über die Highschool aus, über Jungen, Fächer, Filme, Tattoos, Nabelpiercings – und sie waren sich immer einig. Je mehr Übereinstimmungen sie fanden, desto mehr wuchs Lexis Sorge: Was würde geschehen, wenn Mia von ihrer Vergangenheit erfuhr?
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