Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
viele. Ich bin das beliebteste Kind der Klasse.«
»Da hast du aber Glück. Ich war in der Schule manchmal ziemlich einsam«, erwiderte Lexi und sah ihre Tochter prüfend an. Unwillkürlich trat sie einen Schritt näher zu ihr.
Grace’ Lippen zitterten leicht. »Eigentlich habe ich kei …«
»Grace!«, rief da jemand scharf. »Komm hierher. Sofort. «
Lexi sprang zwischen die Bäume. Sie spähte durch die Nadeln eines Asts hindurch zur Hütte. Die Glastür war aufgeschoben, und Miles stand mit finsterer Miene da. Sie war sicher, dass er sie nicht gesehen hatte. Warum also klang er so aufgebracht?
»Grace, verdammt noch mal«, brüllte er wieder. »Komm auf der Stelle rein.«
»Ich muss los.« Grace sprang auf.
»Schreit er dich immer so an?«
Grace wollte sich schon abwenden, da nahm Lexi allen Mut zusammen und hielt sie an der Hand fest. »Ich wäre gerne deine Freundin«, sagte sie leise. Es war schwer, es dabei zu belassen. Auf einmal hatte sie noch viel mehr zu sagen. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, dass sie einfach von ihrer Tochter weggehen konnte?
Daraufhin breitete sich ein so strahlendes Lächeln über Grace’ Gesicht, dass Lexi ganz warm ums Herz wurde. »Ist gut. Bis dann«, war Grace einverstanden und winkte. Dann drehte sie sich um und rannte zum Haus.
Langsam richtete Lexi sich auf. Endlich erlebte sie, wie es sich anfühlte, nicht mehr wegzulaufen.
Sie ging zu ihrem Fahrrad zurück, stieg auf und fuhr den Hügel hinauf Richtung Stadt.
Ein Krankenwagen kam ihr mit blinkenden Signallichtern und heulender Sirene entgegen, aber sie beachtete ihn kaum.
Sie war auf dem Weg zu Scot Jacobs.
E INUNDZWANZIG
Jude war in der Notaufnahme vom Seattle Hope Hospital. Sie lag in einem schmalen Bett und war an alle möglichen Monitore, Apparate und Schläuche angeschlossen, aber das war vollkommen unnötig. Sie hatte keinen Herzinfarkt.
Sie blickte zu ihrem Mann auf und kam sich absurd zerbrechlich vor. Sie war einfach zusammengebrochen, schon wieder. »Ich dachte, ich hätte das hinter mir.«
Er strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn. »Ich auch.«
»Eine Panikattacke.« Fast spie sie die Wörter aus.
Grace kletterte das Metallgestänge des Betts hinauf. Sie rutschte ab, sprang wieder auf den Boden und kletterte erneut hinauf. Jude spürte den Widerhall des metallischen Klapperns im ganzen Körper. Kopfschmerzen machten sich am Ansatz ihres Schädels bemerkbar. »Was ist Panik?«, fragte Grace und stieß mit dem Kinn spielerisch gegen das Gestänge.
»Große Angst«, antwortete Miles.
»Ich hab mal eine Wasserratte gesehen. Das war gruselig«, erzählte Grace. »Und große schwarze und haarige Spinnen sind auch gruselig. Ist dir eine das Bein raufgekrabbelt?«
»Nana ist sehr müde, Gracie«, erklärte Miles. »Könntest du dich vielleicht mal kurz hinsetzen und still etwas lesen?«
»Aber ich will wissen, warum Nana Angst hat.«
»Nicht jetzt, Gracie. Okay?«, sagte er sanft.
»Ist es wie, als ich Windpocken hatte und nur noch schlafen wollte?«
»Ganz genau so.«
»Ist gut, Grandpa.« Grace rutschte vom Bett, schlurfte zum Stuhl in der Ecke und setzte sich. Sie schlug ein zerlesenes Exemplar von Die Katze mit Hut auf und versuchte halblaut, die Buchstaben zu Wörtern zusammenzufassen.
Jude fühlte sich elend – sie hatte Kopfschmerzen, sie war zittrig, ihr war flau im Magen. »Ich verlier noch meinen Verstand, Miles.«
»Was soll das heißen?«
Sie liebte es, wie ruhig und gleichmäßig er ihr übers Haar strich. Es beruhigte sie schneller als jede Medizin. »Ich dachte, ich hätte sie gesehen.«
»Mia?«, flüsterte er.
»Nein.« Unwillkürlich war Jude enttäuscht, dass er fragte. Sie hatte versucht , Mia zu sehen. Aber weder Gebete noch Hellseher hatten geholfen. Außerdem hätte Jude bei Mias Anblick gewiss nicht das Gefühl gehabt, ihr Herz würde versagen. Ganz im Gegenteil: Es hätte wieder angefangen zu schlagen.
Sie blickte zur Seite und sah, dass Grace ganz vertieft in ihre ersten Leseversuche war. »Lexi«, flüsterte sie. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie diesen Namen aussprach. »Sie hat mit Gracie geredet.«
Miles nahm ihre Hand. Er wirkte kein bisschen aus dem Gleichgewicht gebracht, und seine Gelassenheit beruhigte sie. »Verzerrte Wahrnehmungen oder Halluzinationen sind bei einer Panikattacke ganz normal. Das weißt du doch. Weißt du noch, wie du dachtest, ein Wagen würde Grace anfahren? Wäre ich nicht da gewesen, dann wärst du
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