Wie deutsch ist das denn?!
Abziehbild des deutschen Alltags verfolgen, in dem so ziemlich alles vorkommt, was unsere Gesellschaft beschäftigt und prägt. Ob familiäre oder soziale Probleme, ob Liebeskummer oder politische Konflikte, ob Megatrends oder die Schlagzeilen der Woche– die Lindenstraße saugt das ganze pralle Menschenleben in ihre kleine Welt ein und sorgt damit wie ein Perpetuum mobile für immerwährende Aktualität.
Die Energie scheint der Serie tatsächlich nie auszugehen: Mit inzwischen mehr als 1400 ausgestrahlten Folgen ist sie fast zu einer nationalen Institution geworden, zumindest genießt sie bei ihren Fans Kultstatus unter den wöchentlichen TV -Ereignissen. Keine andere deutsche Soap Opera kommt auch nur annähernd auf ein so langes Leben.
Auf den ersten Blick ist die Lindenstraße auch ein sehr deutsches Phänomen. Gedreht wird in Köln, fiktiver Schauplatz ist München, und als Erfinder der Serie gilt der aus Augsburg stammende Regisseur Hans Wilhelm Geißendörfer, der sie bis heute produziert. Wohl nicht ganz zufällig wählte er die Linde als Namensgeberin– einen Baum, der mit deutschem Wesen und deutscher Kultur verwoben ist wie kaum ein zweiter ( » Deutsche Eiche « ). Von daher weckt die allsonntägliche halbe Stunde mit der Lindenstraße durch und durch heimatliche Gefühle.
Allein, auch hier haben wir es uns mit einem Import gemütlich gemacht. Ideen und Konzept der Serie stammen nämlich nicht aus Deutschland. Vielmehr übernahm Geißendörfer den Plot von einem britischen Vorbild, das beim Starttermin seiner deutschen Coverversion schon auf eine erkleckliche Zahl von Jahren zurückblicken konnte. Dessen geistiger Vater wiederum ist der Schauspieler und Drehbuchautor Anthony McVay Simpson (besser bekannt unter seinem Künstlernamen Tony Warren). 1959 begann Warren mit den Arbeiten zu einer Serie, die er ursprünglich Florizel Street nannte und die inzwischen seit über einem halben Jahrhundert Fernsehgeschichte schreibt: Coronation Street ( » Krönungsstraße « ).
Dabei schien ursprünglich alles auf einen Flop hinauszulaufen. Die Produzentin Olive Shapley erinnert sich, wie Warren ihr spät abends auf einer gemeinsamen Zugfahrt vorschlug, statt Mörder, Detektive und Geheimagenten mal den ganz normalen Alltag ganz normaler Leute in einer ganz normalen Straße zu zeigen. Shapleys ebenso spontane Reaktion: » Ach Tony, wie langweilig! Leg dich wieder schlafen. «
Warren ließ sich von dieser Einzelmeinung jedoch nicht entmutigen, und so erlebtedie Coronation Street am 9. Dezember 1960 im Fernsehsender ITV ihre Premiere. Anfänglich schien Olive Shapley recht zu behalten– die ersten Folgen lockten nur wenige Zuschauer hinter dem Ofen hervor, sodass der Serie ein schnelles Ende vorhergesagt wurde. Aber wie das mit Unkenrufen so ist– häufig werden sie eben doch von der Realität übertönt. Tatsächlich hat es Coronation Street von der Erstausstrahlung bis heute auf weit über 8000 Folgen gebracht. Damit ist sie die langlebigste noch existierende TV -Soap aller Zeiten– mehr Episoden verzeichnet bis heute nur die US -Serie Guiding Light, die von 1952 bis 2009 ausgestrahlt wurde.
In Aufbau und Inhalt gleichen sich Coronation Street und Lindenstraße wie ein deutsches Ei einem britischen. Hier wie dort erzählen die Folgen vom Alltag und Familienleben der handelnden Personen, bauen gesellschaftliche Konflikte und politische Entwicklungen in die Handlung ein und liefern damit ein Spiegelbild der aktuellen Wirklichkeit. Protagonisten sind jeweils die Einwohner eines eng umgrenzten fiktiven Stadtviertels– wobei dieses im Gegensatz zur Lindenstraße bei den Briten auch in einer fiktiven Stadt liegt, die man auf den Namen Weatherfield taufte. Das Vorbild für die TV -Kulisse wiederum lieferte die real existierende Coronation Street, eine typisch englische Reihenhausstraße in einem Arbeiterviertel von Salford (Greater Manchester). Die echte Lindenstraße im Münchner Stadtteil Harlaching– ja, die gibt’s auch!– sieht dagegen völlig anders aus als ihre Namensvetterin in der TV -Serie.
Ansonsten ist beim britischen Original alles ein paar Nummern größer als bei der Lindenstraße: Während diese nur einmal pro Woche läuft, strahlte ITV von Anfang an zwei Folgen aus– anfangs noch in Schwarz-Weiß, seit 1969 in Farbe und seit März 2010 in HDTV . 1989 wurde die Zahl der wöchentlichen Folgen auf drei aufgestockt, 2009 sogar auf fünf.
Man könnte annehmen, dass die britischen
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