Wie deutsch ist das denn?!
Fast Food « war damals noch unbekannt– und der Hawaii-Toast galt als Delikatesse, die man sich nicht einfach in den Mund schob wie eine gewöhnliche Butterstulle. Nein, man verzehrte ihn stilvoll mit Messer und Gabel (übrigens auch heute noch anzuraten).
Betrachtet man die deutsche Lebenswirklichkeit der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, so wird der Erfolg des Toast Hawaii nur zu verständlich. Damals sogen die Bundesbürger begierig alles ein, was die zurückliegende entbehrungsreiche Nachkriegszeit vergessen machte, Hoffnung auf ein besseres Leben weckte und vor allem ein Stück große weite Welt verhieß. Rudi Schuricke nahm sich bella Italia vor, Caterina Valente ließ Mexikaner Calypso tanzen und karibische Inseln in blauer Tropennacht versinken, Vico Torriani pries » Ananas (!) aus Caracas « , und norddeutsche Radiohörer durften sich ab 1951 mit der noch heute ausgestrahlten Sendereihe » Zwischen Hamburg und Haiti « von zu Hause wegträumen. Dass zwischen beiden Punkten praktisch nur Wasser liegt– wer wollte es damals so genau wissen? Kurz, das Weltbild vieler Deutscher westlich des Eisernen Vorhangs war kaum anders, als es der Berliner Liedermacher Ulrich Roski in den Siebzigerjahren durch den Kakao zog: » Wenn die Bouzouki klingt am Lago Maggiore « . Es ging einher mit der Verklärung alles Exotischen, in vorderster Reihe das vermeintliche Traumland Mexiko, die Antillen und natürlich Hawaii– der Sehnsuchtsbegriff schlechthin. Schon dieses Namens wegen musste Wilmenrods Erfindung praktisch ein Hit werden.
Erstaunlich allerdings, dass sich der Toast Hawaii bis heute nicht von deutschen Speisekarten hat verdrängen lassen. Selbst in die DDR , wo Ananas als westlicher Luxus schlechthin galt, konnte er schon früh unter dem Decknamen » Karlsbader Schnitte « einreisen und sich somit von der Stasi unbehelligt durchsetzen. Und nicht nur das– die Idee machte sogar weltweit Schule: Die » Pizza Hawaii « , eine Variante des Wilmenrod’schen Urrezepts und angeblich 1962 im kanadischen Chatham erfunden, eroberte zuerst Nordamerika und schließlich Australien, wo sie mit einem Anteil von 15 Prozent zum Bestseller unter den Pizzavarianten aufstieg.
In der weiteren Folge entstanden ananasgeschmückte Kreationen wie » Steak Hawaii « , » Hähnchen Hawaii « oder » Lasagne Hawaii « . Als Krönung der Multikulti-Küche hat es das eigentlich satirisch gemeinte Rezept zu einem » Leberkäs Hawaii « , das der bayerische Kabarettist Gerhard Polt 1981 präsentierte, allen Ernstes in deutsche Internetforen zum Thema » Kochen « geschafft. Wer hätte zu Clemens Wilmenrods Lebzeiten gedacht, dass einer simplen Scheibe Ananas eine derart kosmopolitische Karriere beschieden wäre?
In diesem Sinne: Aloha k ā ua, möge Freundschaft zwischen uns sein, Monsieur Wilmenrod selig!
Vereine
Greek connection
Haben Sie schon mal versucht, das Wort » Vereinsmeier « in eine andere Sprache zu übersetzen? Ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist so urdeutsch, dass nur unser eigener Nationalcharakter den passenden Sinn dazu ergibt. Der Deutsche und sein Verein– das gehört offenbar zusammen wie Pech und Schwefel, Handkäs und Musik oder Schwarz, Rot und Gold.
Oder gilt das inzwischen etwa gar nicht mehr? Ist die klassische Vereinsmeierei in den Zeiten von Facebook und Myspace nicht ein überkommenes Relikt des 19. und 20. Jahrhunderts? Der Verdacht drängt sich jedenfalls auf. Schon 1989– der Anteil der Vereinsmitglieder unter den (West)deutschen dümpelte damals bei 42 Prozent – wähnte der Kabarettist Klaus Peter Schreiner den deutschen Verein in akuter Gefahr auszusterben. [27] Sein satirischer Alarmruf lässt für die Social-Media-Gegenwart erst recht Schlimmes ahnen: » Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind vereinsmüde wie nie zuvor. Fast jeder zweite Deutsche ist überhaupt nicht vereinsmäßig organisiert! «
Doch irgendetwas muss dem Autor den Blick auf die Fakten vernebelt haben – womöglich die tief sitzende Klischeevorstellung, dass der Anteil der Vereinsmitglieder an der deutschen Bevölkerung nicht unter 80 bis 90 Prozent liegen dürfe. Tatsache ist, dass sich die Zahl der Vereinsmitgliedschaften zwischen 1973 und 1988 verdoppelt hat. Und auch heute kämpfen die Deutschen wacker um die Weltmeisterschaft des organisierten Beisammenseins: 2011 waren stolze 60 Prozent aller Bundesbürger Mitglied in mindestens einem Verein, und sei es ein Automobilclub.
Auch die Zahl der Vereine
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