Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
einmal typisches Beispiel, dass man mit dem «Nichts machen» oft am weitesten kommt.
    «Sitz, Puppi!»
    Weil die Stimme ist jetzt nicht mehr aus der Sprechanlage gekommen. Die Frau Hartwig ist über den Hof gestapft und hat ihren Befehl geschmettert, Kaserne nichts dagegen. Der ganze Hof ein bisschen Kasernenhof, überall die Zwinger und Verschläge, aber die waren leer, weil die Hunde sind frei im Hof herumgelaufen. Das hat natürlich für einen Fremden schon bedrohlich gewirkt, aber vor der Alten sind die Habtacht gestanden, die haben sich nicht einmal mehr bellen getraut. Nur der Argentinos hat ihr heute Sorgen gemacht.
    «Da missen wir wieder ganz vorne anfangen, Puppi», hat sie ruhig gesagt und die Puppi am Halsband in einen Zwinger gezerrt. «Fir Ungehorsam muss ma bießen. So ist das im Leben. Mussma für jede Sinde bießen.»
    Dann hat sie erst den Brenner gegrüßt. «Der Föhn macht die Tiere so nervös», hat sie erklärt, während sie ihn ins Haus geführt hat.
    «So nervös ist er mir gar nicht vorgekommen.»
    «Sie.»
    Weil
der
Hund, aber
die
Puppi. Den Hundebesitzern ist es ja immer ganz wichtig, dass man ihre Lieblinge geschlechtlich nicht kränkt. Das ist nicht wie bei den Menschen untereinander, wo die Mütter oft noch beim Zwölfjährigen heimlich im Personalausweis nachblättern müssen, welches Geschlecht ihr Sohn jetzt wirklich hat, sondern Hundebesitzer wollen das immer ganz genau wissen.
    «Puppi ist sonst sehr gutmütig», hat die Hartwig gesagt. Und sie selber hat auch einen sehr gutmütigen Tonfall gehabt, wenn sie mit dem Brenner geredet hat. Weil die hat eine eigene Stimme für die Hunde und für die Menschen gehabt. Und ihren ungarischen Akzent hat sie nur gehabt, wenn sie mit den Tieren geredet hat, weil vielleicht zu viele Gefühle im Spiel, aber mit den Menschen vollkommen akzentfrei.
    «Wieso haben Sie nicht bei der anderen Klingel geläutet?», hat sie akzentfrei und ein bisschen besorgt gefragt. Und da sieht man wieder, dass der Mensch oft am schwächsten ist, wenn ihm eine Sache wirklich wichtig ist. Weil die Frau Hartwig hat mit Menschen tadellos akzentfrei gesprochen, nur bei einem einzigen Wort hat es sie fürchterlich gestrudelt. «Wenn Sie wollen, dass ich die Tiere öffne», hat sie dem Brenner streng, aber gutmütig erklärt, «müssen Sie schon bei Tiere läuten.»
    «Ah.» Da hat der Brenner eine Sekunde lang nicht viel intelligenter als eine Türe dreingeschaut. Aber im nächsten Moment hat er schon über ganz was anderes gestaunt. Wie die Frau Hartwig mit ihm in das Haus hineingegangen ist, hat er nämlich schnell verstanden, warum außer «Tiere» und «Summer» alle anderen Klingeln unbeschriftet waren. Sagen wir einmal so. Auf den Klingeln waren keine Namen, weil die Bewohner des vierstöckigen Zinshauses sowieso nicht den Summer bedienen hätten können.
    Der Brenner hat jetzt schon ein- oder zweimal schlucken müssen, weil sieht man auch nicht alle Tage, dass ein ganzes Zinshaus mitten in einer Wohnstraße nur von Hunden bewohnt
ist
.Für die Tiere war das bestimmt ein Paradies. Aber für die Nachbarn dürfte es eher in die gegenteilige Richtung gegangen sein. Das war ein Gebell und Gekläff, ohrenbetäubend. Und Geruch kannst du dir selber ausrechnen. Wenn da der eine oder andere Nachbar auf eine Idee gekommen wäre, quasi Hundekekse, wie soll ich sagen, mildernde Umstände hätte man dem schon geben müssen.
    Umso gemütlicher ist es dem Brenner dann in der Wohnung der Frau Hartwig im obersten Stock vorgekommen. Sie hat ihm einen Platz an ihrem Küchentisch mit einer richtigen, selbst gebügelten Tischdecke angeboten und ihn nach seinem Anliegen gefragt.
    Aber interessant. Beim Kaffeetrinken hat sie auf einmal viel jünger ausgesehen. Es war nur ihre Art, wie sie so betont rüstig über den Hof gestapft ist, dass sie auf den Brenner vorher wie eine Pensionistin gewirkt hat, nicht einmal Frühpensionistin, sondern regulär.
    Aber ihr Gesicht, ihre Augen, wenn man da genau hingeschaut hat, dann war die Frau höchstens Mitte fünfzig, eventuell sogar Anfang fünfzig. Womöglich nur drei oder zwei Jahre älter als der Brenner.
    «Was führt Sie zu mir?»
    «Die-»
    Die Frühpension, hätte der Brenner fast gesagt, aber gerade noch rechtzeitig: «Die Hundekekse.»
    «Hundekekse.»
    Wie hat diese Frau das geschafft, so viel älter zu wirken, als sie bei genauem Hinschauen war? Sie hat sich ja nicht Falten aufgemalt oder krank geschminkt, wie es die höheren Töchter

Weitere Kostenlose Bücher