Wie die Tiere
das gewesen.
Du wirst sagen, was ist mit dem Brenner los, ist der vor lauter Mütterkontakt schon zum Naturspinner geworden. An und für sich nicht, aber das hört man ja immer wieder von Menschen, die ein schweres Unglück überlebt haben. Dass ihnen kurz vor dem Unglück die Natur erschienen ist, quasi Vorgefühl. Das Lawinenopfer erzählt, dass eine Sekunde vor dem Unglück der Schnee so überirdisch schön in der Sonne geglitzert hat, der Küstenautofahrer hat noch ein perfektes Meer-Foto gemacht, kurz bevor er über die Klippe gefahren ist, und der Spontanmörder erzählt dem Richter: Die Muttertagsblume hat mir zugeflüstert, tu es.
Und da hat eben der Augarten mit dem Brenner auch ein bisschen gespielt, der hat noch einmal alle Register gezogen, Bäume, Krähen, Wassersprinkler und und und.
Am Brenner hätte sich die Natur aber fast die Zähne ausgebissen, und ich glaube, wenn es nicht der Augarten gewesen wäre, also eine Dosis, die für einen anderen schon gefährlich ist, hätte der Brenner wahrscheinlich überhaupt nichts gespürt. Weil der hat sich immer noch über ganz andere Sachen Sorgen gemacht.
Warum rennt die dauernd raus und rein, wenn sie doch immer nur die Augartenmauer entlang in eine Richtung geht. Einmal innen, einmal außen, das war der reinste Slalomlauf. Dass sie ihn bemerkt haben könnte, hat er auch nicht recht glauben wollen. Da hat er schon selber gewusst, dass er das Verfolgen gut kann. Die Conny ist ihren Weg gegangen, als hätte sie keine Wahl, so wie der Lachs es sich nicht aussuchen kann und seine Eier den Fluss hinaufbringen muss, obwohl er ganz genau weiß, dass ihn das Süßwasser umbringt. Und die Conny jetzt auch wie programmiert, beim einen Eingang hinein, beim anderen hinaus, da hätte ein hoch fliegender Vogel herunterschauen können, und dem wäre vorgekommen, die Conny ist eine Nähnadel, und die Augartenmauer ist eine Naht, und der Augarten ist eine grüne Jacke, und die Welt ist eine Nähmaschine.
Nur was der über den Brenner gedacht hätte, das weiß ich jetzt nicht genau. Ob der aus so einer großen Distanz auch kaum zu sehen gewesen wäre, oder ob sich da die Vorteile durch die Observierungsmeisterleistung schon wieder neutralisiert hätten, so wie man vielleicht aus sehr großer zeitlicher Distanz einen Serienmörder, der seine Kühltruhe zu einem Kinderheim umgebaut hat, auch nicht mehr richtig unterscheiden kann von einem Wohltäter, der schon nach dem ersten Mord gesagt hat, aus, das mache ich nicht mehr, das entscheide ich jetzt einfach so aus dem Bauch heraus, dass das nicht in Ordnung ist, wenn man einem Tankwart für 720 Schilling die Gurgel durchschneidet, und womöglich hat das Messer allein schon mehr gekostet.
Mit weniger Distanz betrachtet, sind es natürlich gerade die Kleinigkeiten, die zählen. Da kann sich eine Kleinigkeit zu einem furchtbaren Fehler auswachsen. Weil der Brenner hat jetzt übersehen, dass ihm der eckige Flakturm, der da ziemlich versteckt im hintersten Augartenwinkel steht, kurz die Sicht auf die Conny abschneidet.
Und unmittelbar hinter dem Messturm sitzt die Frau mit der Baseballkappe auf einer Bank, und der Brenner tappt voll hinein und spaziert in nur fünf Metern Entfernung an ihr vorbei. Natürlich hat er sofort weggeschaut, aber er war nicht sicher, ob sie ihn nicht doch erkannt hat. Er hat sich dann in einem gewissen Respektsabstand auf eine Bank gesetzt, wo er sie gut im Blick gehabt hat. Aber nicht dass du glaubst, jetzt geht sie an ihm vorbei, so wie oft im Leben der eine am anderen vorbeispaziert, und kurz darauf ist es wieder umgekehrt.
Gar nicht. Sie ist jetzt von ihrer Bank aufgestanden und hat den Messturm betrachtet, als wäre das weiß Gott was für eine Kathedrale. Also Messturm klingt jetzt vielleicht freundlicher als Geschützturm, aber gar zu lieblich darfst du dir den auch nicht vorstellen, das war genauso ein riesiger grauer Betonbunker wie der Geschützturm, nur eben eckig statt rund.
Und ich glaube fast, die Conny mit ihrer orangen Baseballkappe muss da auch so ein unpassendes Bauwerk in ihrer Seele gehabt haben. Sie hat jetzt einen Papiersack herausgezogen und Brotstücke in die Luft geworfen. Das musst du dir vorstellen wie im reinsten Venedig: die schöne Frau vor dem Flakturm, umkreist von Hunderten Tauben.
Und ob du es glaubst oder nicht, der Brenner auf einmal neidig auf die Brotstücke. Er hat ja den ganzen Tag noch nichts im Magen gehabt bis auf den Schluck Magdalena-Kaffee. Ich hab dir
Weitere Kostenlose Bücher