Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
sie schließlich.
» Wenn du es jetzt erzählen möchtest– ich bin ein guter Zuhörer.« Ich wartete ab und betrachtete dabei das rote, von Kudzu-Bohnen überwucherte Tilt-A-Whirl.
Phoebe verschränkte die Finger, senkte den Blick auf ihre Füße und begann ihre Geschichte.
» Nachdem ich Stephan verlassen hatte– das war der Mann, der wollte, dass ich ihn mit einer Fünfzehnjährigen teile– bin ich auf die Suche nach meinen Eltern gegangen. Ich hatte sie über zehn Jahre nicht gesehen, seit dem Tag, als ich zu Marlowe zog. Marlowe war schwarz, und sie haben mich seinetwegen praktisch enterbt. Ich brauchte einen Monat, um mein Elternhaus zu erreichen, und als ich dort ankam, stellte ich fest, dass meine Mutter in noch schlechterer Verfassung war als ich. Sie hatte einfach weitergemacht, als wäre gar nichts los– hatte weiter im Garten Blumen gepflanzt und sich den Schwachsinn im Fernsehen reingezogen, bis sie keine Lebensmittel und keinen Strom mehr hatte. Ich habe sie da rausgeholt, aber ich hatte natürlich keine Ahnung, wohin wir gehen sollten. Schließlich zogen wir nach Osten, in Richtung Savannah.
Sie hatte sich in den zehn Jahren kaum verändert. Dauernd beklagte sie sich. Die Füße taten ihr weh, sie hatte Hunger, und sie sah nicht ein, warum ich sie aus ihrem Haus geholt hatte und jetzt durchs Land schleifte. Sie jammerte den ganzen Tag.
Dann kamen wir eines Tages durch die Hauptstraße einer kleinen Stadt. Bei McDonald’s stand ein Pappschild im Fenster, auf dem stand › Geöffnet‹. Also suchte ich meiner Mutter ein schattiges Plätzchen, ich wusste ja nicht, ob es in dem Laden sicher war, und dann ging ich rein.
Der Mann drinnen verkaufte Hamburger, die tatsächlich aus dem Fleisch irgendwelcher Tiere hergestellt waren, aber er nahm kein Bargeld, nur Edelmetalle und Waffen und so was. Ich besaß nichts dergleichen, aber als ich gerade wieder gehen wollte, machte er mir den Vorschlag…«
Phoebe versagte die Stimme. Ich überlegte, ob ich ihr beruhigend die Hand auf den Rücken oder die Schulter legen sollte, spürte aber, dass das unpassend gewesen wäre, daher wartete ich wieder ab.
» Er schlug mir ein Tauschgeschäft vor: Er würde mir die Hamburger geben, wenn ich mit ihm schlief. Ich lehnte ab und lief aus dem Laden, aber ich kam fast um vor Hunger, und meine Mutter auch.« Phoebe wischte sich über die Augen und schniefte. Ihre Nase war ganz verstopft. » Also habe ich mich darauf eingelassen. Hinter der Theke. Ich wollte nicht weinen, aber ich konnte nicht anders. Er hat gesagt: › Denk doch daran, wie gut dir die Hamburger schmecken werden.‹« Phoebes Lachen klang fast wie ein Schluchzen, und jetzt rieb ich ihr tatsächlich ein wenig den Rücken, um sie zu trösten. Es schien ihr zu helfen. Sie holte ein paarmal tief Luft und beruhigte sich.
» Danach habe ich meine Mutter noch zweimal irgendwo warten lassen. Ich habe ihr gesagt, ich würde etwas zu essen kaufen, und bin dann zu einem Mann gegangen, der etwas hatte, und habe ihm Sex dafür angeboten. Beim letzten Mal hat der Mann es gemacht und mich dann als Hure beschimpft und mich rausgeworfen, ohne mir das Essen zu geben.«
Mit zitternder Hand wischte Phoebe sich die Nase ab. Ich wollte, dass sie aufschaute, sie sollte sehen, dass ich ihr zuhörte, dass ich sie nicht verurteilte, dass sie nichts Unrechtes getan hatte, aber sie hielt den Blick auf ihre Sportschuhe gerichtet.
» Als ich nach diesem letzten Mal zu meiner Mutter zurückging, sagte sie, sie hätte rausgekriegt, wie ich an Essen herankäme. Das wäre ja widerlich, sagte sie. Als ich sie daraufhin fragte, ob sie denn lieber verhungern wollte, meinte sie, ja, lieber würde sie verhungern.
Bei unserer nächsten Rast habe ich meine Mutter wieder unter einen Baum in den Schatten gesetzt …« Erneut rollten Phoebe Tränen über die Wangen, und ihre Schultern bebten. » Ich habe gesagt, ich würde mich um etwas zu essen kümmern.« Nur mit Mühe brachte sie die nächsten Worte heraus: » Und ich habe sie da sitzen lassen.«
Phoebe schaute zu mir hoch. » Ich habe meine Mutter alleingelassen.«
Ich nickte, einfach zum Zeichen, dass ich sie verstand. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, traute mir keine passende Antwort zu, denn alles, was mir einfiel, erschien mir entweder zu banal oder hätte geklungen, als wollte ich sie kritisieren.
Sie lehnte sich auf dem kleinen Bänkchen zurück und schaute mit tränennassen Wangen an die Bretterdecke des
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