Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
wieder Erde in das Loch. Sie hatte sich entschieden, bei dieser Aktion nach besten Kräften mitzuwirken, denn ihrer Ansicht nach glich das Bambuspflanzen weniger einer Vergewaltigung als die Verbreitung von Doctor Happy. Ich meinerseits war nur mitgekommen, weil ich Angst um meine Freunde hatte, und je größer unsere Gruppe war, desto sicherer waren wir. Außerdem hatte ich nichts anderes zu tun. Colin und Jeannie wollten den Abend zu zweit verbringen, und sonst war niemand da.
Cortez goss aus einer alten Sodaflasche Wasser über den Setzling, und wir gingen zur Auffahrt zurück. Die ganze Aktion hatte gerade mal dreißig Sekunden gedauert.
» Wie kommst du mit diesem Arschloch Charles klar?«, fragte Cortez im Gehen.
Ange berichtete. Mit jedem ihrer Worte wirkte Cortez angepisster. Ich würzte Anges Monolog ab und zu mit einem » Das darf doch nicht wahr sein.«
» Soll ich ihn mir mal vorknöpfen?«, fragte Cortez, als sie geendet hatte. » Da wird ihm sein Ständer schnell vergehen.«
Ange schien zu überlegen. » Er verdient eine Abreibung, aber ich fürchte, das würde nicht helfen. Danke, aber ich muss das selbst hinkriegen.«
Cortez sah enttäuscht aus. » Sag mir Bescheid, falls du dich anders entscheidest.«
Ange blieb stehen und streckte die Arme aus. » Pst. Horcht mal.«
Wir lauschten. Berstende, knackende, knisternde Geräusche erfüllten die Luft, so als wäre die ganze Stadt auf Eis gebaut, das jetzt nachgab. Es war unheimlich und beeindruckend. Die anderen Teams hatten gute Arbeit geleistet.
» Unglaublich«, sagte Cortez.
Während wir unter einem Dach aus Eichenkronen die Abercorn Street entlanggingen, hörten wir erstes Sirenengeheul, das mit dem hungrigen Krachen des erwachenden Bambus wetteiferte.
Die Wirkung war umwerfend. Broughton Street, Savannahs wichtigste Einkaufsstraße, war vollkommen unpassierbar, verstopft von leuchtend grünen Bambusstängeln. Sie schossen durch den Asphalt, als wäre er Pappe, genau so, wie Sebastian es gesagt hatte.
Es roch nach blühenden Azaleen und Pisse. Eine Gruppe junger Möchtegern-Dadas, als Polizisten, Cowboys und FedEx-Kuriere verkleidet, stolzierte auf uns zu, jeder protzte mit seinem individuellen, obercoolen Gang. Beschützend legte ich Ange den Arm um die Schultern. Als sie lächelte, wusste ich, was sie dachte: Sie hatte einen siebzig Pfund schweren Hund dabei, und Uzi hatte keine Skrupel, jemandem wehzutun, wohingegen ich einmal einen unidentifizierbaren Fötus runtergewürgt und mich fast noch bei dem Jumpy-Jump bedankt hatte, von dem ich dazu gezwungen worden war.
In der Drayton Street schleiften ein Junge und ein Mädchen ganze Bündel von abgeschnittenem Bambus über den Gehsteig. Sie bogen auf ein unbebautes Grundstück zwischen zwei heruntergekommenen Gebäuden ab.
» Gut gemacht, ihr beiden«, sagte ein alter Mann. Er stand neben einer halb fertigen Bambushütte, die zwar etwas schief, aber recht stabil aussah. Er war anscheinend der Großvater. Mutter, Vater und Großmutter waren vermutlich tot. Wahrscheinlich hatte der Opa sich sein Rentenalter anders vorgestellt.
Auf dem Jackson Square stießen wir auf weitere Bambushütten und Bambusvorhänge. Auf der Bull Street bejubelte eine gemischte Gruppe aus Obdachlosen und gepflegteren Menschen, vermutlich Opfern von Doctor Happy, den Bambus. Er fraß sich durch die ganze Straße und umzingelte die Polizeiwache am Victory Drive. In der sengenden Maihitze hieben Polizisten und Soldaten mit Macheten auf die Bambusschösslinge ein. Eine kleine Baumaschine zog einen Graben um das Bambusdickicht herum. Alle Beteiligten wirkten erhitzt und stinksauer.
» Sehr schön, sehr schön«, sagte Ange. Sie las gerade eine SMS von Sebastian. » Und hört euch das an: Ein Pfarrer in Southside ist angeklagt worden, weil er etwas von seinem mit Doctor Happy infizierten Blut in den Messwein gemischt hat. Super!« Ange fuhr anscheinend schon total auf Sebastians Ideologie ab.
Einige Infizierte meinten offensichtlich, es sei ihre Pflicht, das Virus weiterzugeben– Missionare, die die Botschaft des Friedens und der Freude und der nächtelangen Partys auf biologischem Wege verbreiteten. Mütter stachen ihre schlafenden Kinder mit in Blut getauchten Stecknadeln.
Auf der Whitaker Street brach ein Panzer sich mühelos Bahn durch das Bambusgestrüpp und schuf so einen Weg für Truppen und Einkaufswillige. Allerdings gab es in Savannah nicht viele Panzer, und heute Abend wollten Sebastian und seine Anhänger
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