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Wie du befiehlst

Wie du befiehlst

Titel: Wie du befiehlst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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der hatte um den Ruf der Familie gefürchtet, bis er schließlich zum Äußersten gegangen war.
    Melissa hielt den Atem an. Wie musste sich Espen gefühlt haben, als sein eigener Vater ihn verstieß, ihn sogar prügelte? Denn ja, es musste, wenn sie dem Bericht glauben durfte, eine wahre Prügelorgie gewesen sein. Ihr Herz schmerzte. Wie konnte ein Vater seinem Sohn nur so etwas antun? Dazu dieses Foto von einem Jungen, der gerade dem Halbstarkenalter entwachsen und mit Hämatomen übersät war. Vor allem im Gesicht.
    Ja, diese Berichte über Espens ständig wechselnde Partnerschaften waren geschmacklos. Und sie wollte das gar nicht entschuldigen. Auch nicht mit seiner Jugend. Sie wusste aber, dass die Presse gern in ihrer Darstellung übertrieb. Vor allem aber wusste sie, dass der heutige Espen anders war. Zuge­geben, er war immer noch exzentrisch. Wahrscheinlich sogar mehr als früher. Aber wenn sie daran dachte, wie sehr ihn sein Vater verletzt haben musste, sowohl seelisch als auch körperlich, verspürte sie einen dicken Kloß im Hals und den Drang, Espen zu umarmen, ihm zu zeigen, wie wichtig er für sie war.
    Melissa gab diesem Drang nach. Sie eilte hinaus, ohne den Computer wieder auszuschalten, rannte durch den Flur bis zum Ostflügel der Villa, wo sich sein Büro befand. Zitternd klopfte sie an.
    Â»Ja?«, erklang seine tiefe männliche Stimme.
    Melissa trat ein, und als sie ihn an seinem Schreibtisch sitzen sah, er zu ihr aufblickte, mit seinen unterschiedlichen Augen, konnte sie nicht länger an sich halten und stürmte auf ihn zu. Er schaffte es nicht einmal, sich aus seinem ­Bürosessel zu erheben, schon lagen ihre Arme um seinen Hals.
    Â»Was ist denn passiert, Melissa?«, fragte er besorgt, denn offenbar glaubte er, ihr ginge es nicht gut. Melissa lächelte ihn gerührt an, streichelte dann seine Wange.
    Â»Ich weiß es nun«, sagte sie, und ihr Finger glitt zu seinem dunkleren Auge. »Die Pupillenmuskulatur wurde verletzt.«
    Ãœberraschung schlich sich in seinen Ausdruck, aber dann nickte er nur, nahm ihre Hand und küsste ihre Handfläche. »Mein Vater und ich haben uns kurz vor seinem Tod aus­gesöhnt«, erklärte er. »Aber diese Erinnerung«, er deutete zu seinem Auge, »wird mir immer bleiben.«

    Am späten Nachmittag klopfte es an ihre Zimmertür. Espen hatte noch etwas weiterarbeiten wollen, und dann hatte sie im Abstand von zwei Stunden das Surren der Motoryacht gehört, das von Espens Abfahrt und Rückkehr nach Venus Clams kündete. Melissa kannte nun die ganze Wahrheit, und sie lag erstaunlich nahe bei dem, was in den Artikeln gestanden hatte. In seiner Wut hatte Steven Hannigan tatsächlich auf Espen eingeschlagen, doch Espen hatte mit dieser Geschichte inzwischen abgeschlossen. Am Sterbebett seines Vaters hatten sie sich versöhnt.
    Noch einmal klopfte es an der Tür.
    Â»Ja?«, rief Melissa, die sich gerade »Venus im Pelz« geschnappt hatte, und legte ihre Lektüre widerwillig zur Seite.
    Â»Darf ich eintreten?« Sie erkannte Alberts Stimme.
    Â»Aber natürlich, kommen Sie nur.«
    Die Klinke bewegte sich nach unten, und die Tür ging auf. Albert, wie immer adrett in einem Anzug, schob sich durch den Spalt. In den Händen hielt er einen großen flachen Karton.
    Â»Mr Hannigan bat mich, Ihnen sein Geschenk zu bringen.«
    Â»Ein Geschenk?« Sie sprang auf, um das Päckchen, das eine goldene Schleife zierte, entgegenzunehmen.
    Â»Mr Hannigan ist gerade aus Nizza zurückgekehrt und wies mich außerdem an, Ihnen diesen Brief zu geben.«
    Er reichte ihr einen blauen Umschlag.
    Â»Danke, Albert. Sehr freundlich von Ihnen.« Es war immer noch komisch, dass er sie beim Sex gesehen hatte. Doch er blieb professionell, machte keine unangenehmen Bemerkungen und war auch sonst ganz Gentleman.
    Es gab jedenfalls keinen Grund, Albert irgendetwas nachzutragen, und sie blieb freundlich, ein bisschen konnte sie diesen schrulligen Kerl, der trotz seines jugendlichen Alters die Ausstrahlung eines alten Mannes besaß, leiden.
    Der Diener verneigte sich, trat rückwärts hinaus. »Wenn Sie mich dann nicht mehr brauchen, Miss?«
    Sie schüttelte den Kopf, und Albert schloss die Tür.
    Eilig öffnete sie den Brief. Darin stand nur: »Ich möchte, dass Du es heute Abend trägst.«
    Was denn tragen? Ihr Blick fiel auf den Karton. Rasch

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